Die ersten 100 Tage

Die wahren Memoiren von Gerhard Schröder – live und exklusiv auf der Wahrheit

Montag, 28. September 1998. Mit schweren Kopfschmerzen aufgewacht. Doris krault mir das Brusthaartoupet und schnurrt: „Mein Bundeskanzlerchen“. Verbitte mir das, bin noch nicht gewählt. Sie soll sich lieber nützlich machen und ein Stützbier besorgen. Werfe aus dem Klofenster einen Blick auf das neue Deutschland, sieht aus wie das alte. Gleich wieder hingelegt und eingenickt. Schlechte Träume. August Bebel rief ständig: „Arbeit, Arbeit, Arbeit!“ Dann kam Jesus, murmelte etwas von „Chancen und Risiken“, nur um mich am Ende um 100 Mark anzupumpen. Warf den barfüßigen Schnorrer hochkant raus mit den Worten: „Komm nach der Steuerreform wieder.“ Nachmittags in der Fraktion. Zweites Stützbier. Kann vor Schädelweh nicht klar denken. Habe Oskar ein Superministerium, der Knalltüte Scharping das Verteidigungsressort versprochen.

Dienstag, 29. September 1998. Male mit Joschka Kabinettslisten. Komme mir vor wie Herberger 1962. Zu viele Luschen im Kader. Auf links Trittin und Wieczorek-Zeul, zwei Totalausfälle, im Mittelfeld ächzt das hüftsteife Duo Riester und Münte. Abends meldet sich wenigstens das sozialdemokratische Fußballbollwerk Werder Bremen in Europa zurück. Ein 0:2 im Hinspiel gegen Brant Bergen wird mit 4:0 zu Hause umgebogen. Vor dem Einschlafen erster Geschlechtsverkehr nach dem Wahlsieg, etwas enttäuschend. Anscheinend nicht für Doris. Abends gibt’s lecker Currywurst.

Mittwoch, 30. September 1998. Antrittsbesuch in Paris. Chirac fährt mächtig auf: Eier mit Trüffeln, Lamm mit Spinat, Schampus satt und sauteurer Burgunder. 1.800 Mark pro Flasche, raunt der Dolmetscher. Vertrinke im Namen Deutschlands glatte 7.000 Öcken. Chirac süffelt Bier, verträgt aber nix. Nach dem dritten Glas soll ich Jacques zu ihm sagen. Meinetwegen. Später vor die Presse. „Sagt doch einfach ‚Bürger Schröder‘ zu mir“, eröffne ich die Fragestunde. Als ich hernach auch noch Rilke zitierend durch den Élysée-Palast wandle, sind die Medienfritzen hin und weg. Deutsche Lebensart auf diesem Niveau kannten die Froschfresser bisher nur vom Altbesatzer Ernst Jünger. In Deutschland brodelt die Gerüchteküche. Der designierte Wirtschaftsminister Jost Stollmann ist spurlos verschwunden, einige sagen in Richtung Mittelmeer, andere wollen ihn am Kaiber-Pass gesehen haben. Die meisten halten ihn für tot. Bodo „Danton“ Hombach, seit gestern Richelieu im Kanzleramt, lächelt und schweigt.

Montag, 5. Oktober 1998. Lasse im Garten des Bonner Kanzleramtes die Stützstrümpfe des Kohl-Kabinetts verbrennen und ordere neue Dienstkleidung. 18 Brioni-Anzüge, acht Chanel-Kostüme und 26 Paar Regierungsstiefel aus dem Innenschenkel–Leder ungarischer Jungstuten. Außerdem 20 Kisten kubanische Cohibas, die gesammelten Tony-Blair-Papiere und vier Jahre Aufschwung. Dann spreche ich das erste Machtwort: „Mein Wort gilt!“ Das zweite lautet: „Wir kriegen das hin.“ „Hinkriegen“ wird während meiner Amtszeit eines meiner Lieblingsworte bleiben. Neben „Prost“, „Basta!“, „Innovationsgeschwindigkeit“, „Uneingeschränkte Solidarität“ und „Krieg ist doof“, versteht sich.

Sonnabend, 10. Oktober 1998. Bild meldet: „Machtkampf in der SPD – Oskar holt die Keule raus“. Leider nicht die Nationalelf. Die Jungs verlieren durch Olli-Kahn-Patzer 1:0 gegen eine Elf der Bundesliga-Gastarbeiter. Otto Schilly lässt sofort eine Pressemitteilung verteilen: „Das Boot ist voll“, und plädiert für eine Verschärfung der Abschiebepraxis. Oskar, Röstel und Schlauch protestieren und plädieren im Gegenzug für eine Erweiterung der EU bis ans Kap Hoorn. Damit ist die Debatte vorerst beendet, bis der Spiegel am …

Montag, 12. Oktober 1998 … unkt: „Krise global – kippt der Börsenkrach die Weltwirtschaft“. Noch am selben Tag kursiert in Oskars Umfeld ein Ukas, der binnen zwölf Monaten nichts weniger als das sofortige Ende der Globalisierung, die Vergesellschaftung des Großkapitals, die Inhaftierung des amtierenden deutschen Kanzlers, die Erschießung sämtlicher IWF- und Weltbank-Direktoren, die Besetzung von RTL durch Juso-Brigaden nebst der mindestens 99 Jahre garantierten Teilnahme des 1. FC Saarbrücken am Spielbetrieb der ersten Bundesliga projektiert. Der Putsch (Deckname: Liebknecht) ist gut vorbereitet. Am

Donnerstag, 17. Dezember 1998 wird der Seeheimer Kreis unter dem Vorwand in die Südsee geflogen, der König von Tonga biete gegen den Dumpingpreis von 3.000 Litern Andechser Weizenbier den Anschluss seines Inselparadieses an die Berliner Republik, während ich meinen Verpflichtungen rheinabwärts bei „Wetten, dass …?“ nachkommen muss. Der Umsturz fliegt aber auf, als ich am …

Samstag, 11. März 1999 während der Partie Borussia Dortmund gegen Schalke 04 neben Borussen-Manager Michael Meier sitze. Meier will wissen, ob das mit dem 1. FC Saarbrücken wirklich so im Regierungsprogramm steht. Ich handele sofort und zwinge Oskar zur Demission. Kurz darauf findet Knalltüte Scharping einen rumänischen Hufeisenplan, ich muss Belgrad bombardieren lassen. Es herrscht Sodom und Gomorrha. Und erst 100 Tage herum. Das kann ja noch heiter werden …

MICHAEL QUASTHOFF