Das Trauma in der Friedenstruppe

Psychische Störungen unter Afghanistan-Heimkehrern nehmen zu. Das Ausmaß wollen die Verantwortlichen jedoch nicht wahrhaben

Schadensbegrenzung ist bei der Bundeswehrführung das Gebot der Stunde, seit die geschmacklosen Schädel-Spiele deutscher Soldaten in Afghanistan bekannt wurden. Während der Bundestagsdebatte warnte Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) gestern vor einer „Pauschalverurteilung“ der Bundeswehr im Ausland. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands, Bernhard Gertz sagte, bis zum Beweis des Gegenteils vertraue er darauf, es handele sich um einen Einzelfall. Und auch der katholische Militärgeistliche Walter Mixa war sich sicher: „Eine absolute Ausnahme“ – und bemühte sich, die Entgleisungen der sechs deutschen Soldaten mit „fehlender Gottesfurcht“ zu begründen. Doch fernab solcher Erklärungsversuche leidet die Truppe unter handfesten Problemen.

Immer mehr Bundeswehrsoldaten beklagen nach Auslandseinsätzen psychische Störungen. Die Zahl der Einsatzkräfte mit posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) hat sich in den vergangenen Jahren nahezu verdreifacht. Waren 2003 noch 48 Soldaten mit dieser Diagnose in Behandlung, so sind es 2005 nach aktuellen Angaben des Verteidigungsministerium „mindestens“ 140. Insgesamt sollen 640 deutsche Soldaten seit 1996 erkrankt sein. Besonders betroffen: Rückkehrer vom Afghanistan-Einsatz. Von dort stammen die Schädel-Fotos, die nun die Öffentlichkeit erregen. Hier nahmen im letzten Jahr 86 heimgekehrte Soldaten wegen traumatischer Störung ärztliche Hilfe in Anspruch, 2003 waren es nur 30.

Die Betroffenen leiden unter Schlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten. Sie sind oft reizbar und neigen zur Wutausbrüchen. Nach Angaben des Ministeriums reichen die Symptome aber auch bis hin zu Panikausbrüchen und völliger Hilflosigkeit. Bluthochdruck, Depressionen, Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenmissbrauch können die Folgen sein. Ursache des Traumas sind dramatische Erlebnisse, die Begegnung mit dem Tod, das Gefühl von Angst und Hilflosigkeit – Situationen, wie sie beim Friedenseinsatz in Afghanistan tägliche Realität sind. Seit 2002 waren über 20.000 Soldaten dort im Einsatz. Immer wieder war das deutsche Kontingent auch Anschlagsziel.

Trotz des bestätigten signifikanten Anstiegs der PTBS-Fälle hat man auf der Hardthöhe den Ernst der Lage noch nicht erkannt. Man tröstet sich, dass die 140 Betroffenen in 2005 nicht einmal 1 Prozent der heimgekehrten Soldaten darstellen. Doch dass die Dunkelziffer viel höher sein könnte, mahnte selbst Bernhard Gertz, der jetzt „weniger eine Frage der Psychologie, sondern eher der Werte und der Moral“ im Schädel-Skandal erblickt. Die Statistik der Hardthöhe erfasst nämlich nicht die Reservisten und freiwillig Dienenden, die nach Ende des Auslandseinsatzes aus der Bundeswehr ausgeschieden sind. Nicht selten treten die Symptome der traumatischen Störung erst Monate nach dem Schockerlebnis auf, in Extremfällen auch erst nach Jahren. Zusätzlich ergeben sich Probleme mit der Statistik, so der Bundeswehrverband, weil viele Soldaten, die zwar mit ihrem Trauma kämpfen, das nicht zugeben wollen. Keiner von ihnen will in der Truppe als Weichei verspottet werden.

Bei den Verantwortlichen regt sich kaum Problembewusstsein. Verteidigungsminister Franz Josef Jung kündigte gestern an, Ausbildung und Personalauswahl für Auslandseinsätze verbessern zu wollen. CHRISTOPH GERKEN