Leichtmatrosen auf hoher See

Die Bundeswehr soll dem Libanon dabei helfen, wieder volle Souveränität zu erlangen – nicht, Israel zu schützen. Das scheint vielen in Deutschland leider nicht recht klar zu sein

Wie sollen Libanesen den deutschen Einsatz verstehen, wenn sogar deutschen Politikern dies nicht gelingt?Das politische Gerede schadet nicht nur dem deutschen Ansehen: Es riskiert das Leben deutscher Soldaten

Seit einigen Tagen überwacht die deutsche Marine – als Teil der UN-Friedenstruppen Unifil – den Seeverkehr vor der Küste des Libanon und soll vor allem den Schmuggel von Waffen in das Land unterbinden. Der Erfolg der Mission hängt wesentlich davon ab, wie der Einsatz kommuniziert wird. Doch fast scheint es, als hätten nur wenige derer, die sich an der deutschen Debatte über den Einsatz im Nahen Osten beteiligten, die Resolution des Sicherheitsrates 1701 gelesen, die den politischen Kontext definiert und die Aufgaben beschreibt. Gelegentlich konnte der Eindruck entstehen, als ob der Libanon-Einsatz aus deutscher Sicht anderen Zielen dienen würde als denen, die in der UN-Resolution ausgedrückt sind, oder als handele es sich um einen völlig anderen Einsatz.

So hörte ich kürzlich einen Bundestagsabgeordneten vom „Israel-Einsatz unserer Marine“ sprechen. Das Büro eines anderen Abgeordneten wollte, dass diesem während eines Israelbesuches auch eine Visite auf einem der deutschen Schiffe vor der libanesischen Küste organisiert werde; dazu könnten die Israelis doch sicher einen Hubschrauber bereitstellen: Da hatte jemand großzügig übersehen, dass Israel und Libanon sich weiterhin im Kriegszustand befinden und die Unifil im libanesischen Hoheitsgebiet operiert. Wenn schon Parlamentariern und ihren Mitarbeitern nicht klar ist, um was es beim deutschen Libanon-Einsatz geht, wie soll man da erwarten, dass die libanesische Öffentlichkeit oder die anderer arabischer Staaten dies versteht?

Doch, es gab auch Beispiele guter Kommunikation: Als Außenminister Steinmeier Anfang September am Beiruter Flughafen landete, um mit der libanesischen Regierung über die deutsche Hilfe im Rahmen der Resolution 1701 zu sprechen, brachte er zehn Uniformträger mit: Zollbeamte und Polizisten, die Deutschland abstellt, um ihren libanesischen Kollegen dabei zu helfen, den Beiruter Flughafen zu kontrollieren. Wenig später hob Israel seine bis dahin beibehaltene Luftblockade des Flughafens auf: Damit war deutlich geworden, dass die deutschen Beamten nicht etwa gekommen waren, um den libanesischen Zoll oder die libanesische Flughafenpolizei zu entmündigen – sondern um dem Libanon zu helfen, ein Stück seiner Souveränität wiederherzustellen und damit auch den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes zu erleichtern. Die Wiederherstellung der Souveränität ist derzeit das wichtigste Ziel der demokratisch gewählten libanesischen Regierung: nach innen, gegenüber nichtstaatlichen Akteuren wie der Hisbollah, die in der Vergangenheit „Staaten im Staat“ errichtet hatten. Und nach außen gegenüber zwei mehr oder weniger unfreundlichen Nachbarn, Israel und Syrien.

Der von Deutschland geführte Marineeinsatz der Unifil dient dem gleichen Ziel: den Libanon dabei zu unterstützen, seine Souveränität wiederherzustellen, seine Grenzen zu sichern und darauf zu achten, dass Waffen oder militärische Ausrüstungsgegenstände nur ins Land kommen, wenn deren Import von der libanesischen Regierung autorisiert, also für ihre eigenen Streitkräfte und ihre Polizei bestimmt ist. Auch hier also geht es um die Wiederherstellung von Staatlichkeit und Souveränität: Nachdem italienische und griechische Schiffe vorübergehend, vor Ankunft der deutschen Marine, begonnen hatten, die libanesische Seegrenze zu sichern, hob Israel seine Seeblockade des Libanon auf. Diese dürfte zwar wenig Waffenschmuggel verhindert, dafür aber den zivilen Schiffsverkehr erheblich behindert haben.

Weil es um die Souveränität des Libanon geht, hat die deutsche Marine auch libanesische Verbindungsoffiziere an Bord, und Kontrollen verdächtiger Schiffe werden innerhalb der libanesischen Hoheitsgewässer in Absprache mit der libanesischen Regierung durchgeführt. Aus dem gleichen Grund werden etwa 100 deutsche Soldaten den libanesischen Streitkräften Ausbildungshilfe leisten. Es wäre daher nicht nur politisch schädlich, wenn der Eindruck entstünde, die deutschen Marineeinheiten seien stattdessen gewissermaßen auf Patrouillenfahrt für Israel – oder sie sollten gar, wie es hier und da schon hieß, „Israel verteidigen“.

Auch wenn der „unfreundliche Überflug“ israelischer F-16 über eines der deutschen Schiffe einen anderen Eindruck vermittelt – die israelische Regierung weiß im Prinzip, dass die Wiederherstellung und Durchsetzung libanesischer Staatlichkeit und eine Beendigung des Waffenschmuggels seiner Sicherheit dienen. Ein stabiler Libanon ist gut für die Libanesen und gut für seinen Nachbarn. Verteidigen kann Israel sich im Übrigen selbst. Wenn sich in der libanesischen Öffentlichkeit oder bei den arabischen Nachbarn aber der Eindruck festsetzt, es gehe der Unifil und der internationalen Gemeinschaft bei ihrem Einsatz im Libanon darum, Israels Politik zu betreiben, wird dies die Lage eher destabilisieren. Politische Akteure, die die libanesische Regierung schwächen wollen, verbreiten ohnehin jetzt schon Gerüchte und Verschwörungstheorien, denen zufolge der Unifil-Einsatz sich gegen die Souveränität des Libanon oder gegen sein Recht auf Selbstverteidigung richte und letztlich eine antiarabische Aktion sei. Und aus dem Umfeld gewaltbereiter sunnitischer Gruppen im Norden des Libanon hat es Aufrufe zu Angriffen auf die deutschen Marineeinheiten gegeben.

Die Nullsummenmentalität, die im Nahen Osten herrscht – die verwurzelte Überzeugung, dass der Gewinn der einen Seite immer ein Verlust der anderen sei –, kann man ablehnen, und man sollte versuchen, dagegen zu argumentieren. Ignorieren kann man sie aber nicht, wenn man sich politisch oder gar militärisch in die Realitäten der Region einmischt.

Was auch nicht ignoriert werden darf, ist, dass militärische Interventionen in den Öffentlichkeiten des Nahen Ostens nicht genauso wahrgenommen werden, wie wir sie sehen wollen. Deutsche, Europäer und Amerikaner mögen davon überzeugt sein, dass sie im Libanon, in den palästinensischen Gebieten, in Afghanistan und vielleicht sogar im Irak nur deshalb interveniert haben und eingreifen, um ihre Länder gegen Risiken zu sichern sowie den Menschen dieser Länder Frieden und Stabilität zu bringen. Für viele Menschen im Nahen und Mittleren Osten aber stellt es sich eher so dar, als wären sie lediglich Schachfiguren eines abgekarteten westlichen Machtspiels.

Kommunikation im internationalen Umfeld – öffentliche Diplomatie, wenn man so will – ist immer wichtig, um Unterstützung für eine Politik zu gewinnen, die ganz bewusst versucht, die Verhältnisse in anderen Ländern zu verändern. Das kann über politische Besuche geschehen, über Gespräche mit örtlichen Medien oder über die Einladung kritischer lokaler Beobachter. Loses Gerede dagegen, das einen Einsatz wie den vor der Küste des Libanon in einen falschen Kontext stellt, schadet nicht nur dem Ansehen Deutschlands und Europas in der arabischen Welt. Es kann sogar Leben riskieren.VOLKER PERTHES