Das große Jammertal

Wie wird Berlin ohne Bundeshilfen seine Schulden los? In seiner Regierungserklärung bietet Klaus Wowereit statt Antworten nur trotzige Vorwürfe. Doch auch die Opposition offenbart Ratlosigkeit

VON MATTHIAS LOHRE

Eigentlich wollte Klaus Wowereit souverän klingen. Gestern, als er im Abgeordnetenhaus seine Regierungserklärung zur Zukunft Berlins nach dem Scheitern der Haushaltsklage abgab. Doch die Frustration des Regierenden Bürgermeisters über die ausgebliebenen Euro-Milliarden war in jedem Satz seiner Rede hörbar. „An die Stelle des Solidaritätsgedankens unseres bündischen Föderalismus tritt ein klarer Wettbewerbsföderalismus“, klagte Wowereit. „Vom Fall der Mauer und den Folgen der Teilung Deutschlands ist im Urteil wenig zu lesen.“ Kurz: „Die Klarheit des Urteils lässt Berlin allein.“ Bei so viel Selbstmitleid fiel es der Opposition in der anschließenden Debatte leicht, den Regierungschef zu geißeln – und ihre eigene Ratlosigkeit zu verbergen.

In der konstituierenden Sitzung des Parlaments drehte sich alles um die Frage: Wie kann Berlin mehr Geld sparen und einnehmen, damit die Stadt trotz ihres Schuldenbergs und steigender Schuldzinsen auch in zehn Jahren noch regierbar ist? Wowereits Antworten wiederholten die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen mit der Linkspartei: Rot-Rot will Grund- und Grunderwerbsteuer erhöhen, Stellen im öffentlichen Dienst streichen und den Verkauf der Gewerbesiedlungsgesellschaft GSG prüfen. Andererseits sollen die sechs Wohnungsgesellschaften in Landeshand bleiben, die kostenfreie Kita für Drei- bis Fünfjährige bis 2011 kommen, die drei Opern und drei Unis weiterexistieren. Viele Einzelschritte, aber kein Konzept.

Nach Wowereits ratloser Rede hatte es der neue CDU-Fraktionsvorsitzender Friedbert Pflüger leicht: Einen „Mix aus ‚Weiter so‘, Trotzreaktionen und Vorwürfen“ habe der Regierende abgeliefert, sagte Pflüger in seiner ersten Abgeordnetenhaus-Rede. Genüsslich zitierte er aus einem Zeitungsinterview Wowereits vom Jahresbeginn, als der Regierungschef vom Berlin des Jahres 2015 fantasierte: schuldenfrei dank Haushaltshilfen. In Richtung Wowereit fragte Pflüger: „War das Naivität oder Täuschung im Wahljahr?“ Anstatt beim Bundesverfassungsgericht für Berlins Anspruch auf Haushaltshilfen zu werben, habe Wowereit das Gericht mit der Ankündigung kostenfreier Kita-Besuche provoziert. „Sie wollten damit Stimmen sammeln, aber Sie haben der Stadt geschadet“, urteilte Pflüger. Eigene Sanierungsvorschläge bot die CDU außer Studiengebühren und Wohnungsverkäufen kaum auf.

Auch die Grünen forderten viel Kleinteiliges. Deren Fraktionschefin Franziska Eichstädt-Bohlig will Gewerbe- und Getränkesteuern erhöhen und eine Art Kurtaxe für Berlin-Touristen einführen. Die Wohnungsunternehmen wollen die Grünen sanieren. Dadurch sollen die derzeit 270.000 landeseigenen Wohnungen pro Jahr 200 Millionen Euro für den Landeshaushalt abwerfen.

Für die Linkspartei versuchte die neue Fraktionschefin Carola Bluhm, die verlorene Ehre der Koalition zu retten. Mit Blick auf das Karlsruher Urteil der vergangenen Woche sagte sie: „Berlin hatte – das ist meine Überzeugung – von vornherein keine Chance.“ Das Bundesverfassungsgericht sehe die größten Einsparmöglichkeiten der Stadt da, wo alle Berliner Parteien nicht sparen wollten: „bei Wissenschaft und Kultur“. Auf die Frage, woher denn nun das Geld kommen soll, um zu verhindern, dass Berlins Schulden in zehn Jahren bei 100 Milliarden Euro liegen, wusste auch die Linkspartei keine Antwort.

Die bot wieder mal die FDP. Als einzige Partei im Abgeordnetenhaus verlangt sie die Abschaffung der Bezirksverwaltungen und den Verkauf aller landeseigener Unternehmen, Berliner Stadtreinigung (BSR), Vivantes und Wohnungsunternehmen inklusive. Weil der FDP-Fraktionsvorsitzende Martin Lindner weiß, dass sich das nicht umsetzen lässt, drohte er in seiner Rede mit einer Verfassungsklage gegen den Landeshaushalt. Schon im Jahr 2003 hatte die Opposition so einen neuen Haushalt erzwungen, der mehr Investitionen aufweist als neue Schulden. Aber als Lindner mit der Klage drohte, war der trotzige Wowereit schon nicht mehr im Saal.