„Ostsee und Mittelmeer sind leer“

Die jüngste Auflage des für das Portemonnaie gedachten Fischführers des WWF rät vom Kabeljau ebenso ab wie von der Scholle. Die Bestände dieser und anderer Arten sind stark überfischt. Oft geben die Fangmethoden dem Ökosystem den Rest

Die Überfischung der Weltmeere wird auch der Fischereiindustrie langfristig die Lebensgrundlage entziehen

VON GERNOT KNÖDLER

Fisch ist gesund. Fisch essen ist fatal. „Die Ostsee und das Mittelmeer sind leer gefischt“, sagt Alfred Schumm, Leiter des WWF-Zentrums für Meeresschutz in Hamburg. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO sind drei Viertel aller Bestände überfischt oder an der Grenze zur Überfischung. Etliche Bestände stehen vor dem Kollaps. Der WWF hat deshalb zum dritten Mal einen Einkaufsführer aufgelegt, der angibt, welche Fische aus welchen Meeren halbwegs guten Gewissens gegessen werden können.

Dass die Fischbestände schrumpfen, liegt auch an den Nebeneffekten der Fischerei. Netze, die über den Meeresboden geschleift werden, rasieren ihn, bis er kahl ist. Die Kaltwasser-Korallen, die hierbei zerstört werden, brauchten 50 Jahre, um sich zu erholen, sagt Heike Vesper, Meeresbiologin beim WWF. Dazu kommt das Problem des Beifangs: Für jedes Kilogramm Seezunge werden 14 Kilogramm anderer Meerestiere gefangen. Dieser Beifang wird als „wertlos“ wieder ins Meer geworfen.

Wie stark das Fischen einer bestimmten Art das Ökosystem schädigt, geht ebenso in die Empfehlungen des Fisch-Führers ein wie die Stärke des jeweiligen Bestandes. Hering, Forelle und Seelachs gelten dem WWF als „gute Wahl“. Rotbarsch, Scholle und Seezunge sollte man dagegen meiden.

Auch vom Kabeljau rät der WWF ab. In Nord- und Ostsee – dort heißt er Dorsch – kommt er kaum mehr vor. Drei der fünf Bestände im Nordostatlantik sind nach Einschätzung des WWF „massiv überfischt“. Isländischer Kabeljau sei zwar eine gute Alternative. Da aber nicht zu erkennen sei, woher die Fische an der Theke stammten, raten die Umweltschützer generell vom Kabeljau-Kauf ab.

Anders sieht es beim Alaska-Seelachs aus. Bei Greenpeace steht der Fisch auf der roten Liste der Arten, die keinesfalls gekauft werden sollten. Denn der Alaska-Seelachs ist im großen Stil zu Fischstäbchen verarbeitet worden. Der WWF dagegen macht eine Ausnahme: Trügen die Alaska-Seelachse das Siegel des „Marine Stewardship Council“ (MSC), könne man sie verzehren. Das blaue Siegel mit dem stilisierten Fischlein soll eine nachhaltige Fischerei garantieren – ähnlich wie das Siegel des Forest Stewardship Council (FSC) für Holz aus ökologisch verträglicher Waldbewirtschaftung.

„Verbraucher sind auf der sicheren Seite, wenn sie Meeresprodukte mit dem MSC-Siegel bevorzugen“, verspricht Vesper. Es garantiere, dass die Meeresumwelt geschont werde und nicht mehr Fische gefangen würden als nachwüchsen. Auch Fisch aus Bio-Zucht sei eine naturverträgliche Alternative.

Um die nachhaltige Fischerei zu fördern, arbeitet die Umweltorganisation mit Fischhandelsfirmen wie dem Caterer Sodexho oder der Restaurant-Kette „The Cruise Cafe“ zusammen. Die Firma Iglo bietet seit Mai MSC-zertifizierte Fischstäbchen an. Die Hamburger Gottfried Friedrichs KG wird den Einkaufsführer manchen ihrer Produkte beilegen. Die Überfischung der Weltmeere „würde letztlich auch der Fischereiindustrie langfristig die Lebensgrundlage entziehen“, sagt Friedrichs-Geschäftsführer Norbert Krümpelmann. Mit einem zunehmenden Angebot an MSC-zertifizierten Produkten unterstütze seine Firma daher einen ökologisch vertretbaren Fischfang.

Aus Sicht der Umweltorganisation müssen letztlich die Verbraucher bewirken, was die Politik unter dem Druck der Fischerei-Lobby nicht schafft: eine Fischerei, die ein lebendiges Meer bewahrt und Bestände erhält, von denen die Fischer auch in Zukunft leben können.

Die Europäische Union hat in den vergangenen Jahren Fangmengen freigegeben, die durchschnittlich um 45 Prozent über den Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung lagen. Die gefangenen Fische werden dabei immer kleiner. Von den großen Raubfischen arbeiten sich die Fischer die Nahrungspyramide zu den Planktonfressern hinab.

Der Fischführer versucht auf diese Entwicklung zu reagieren, ohne dass er den Leuten zumutet, auf Fisch ganz zu verzichten. Als Klappkärtchen im Scheckkartenformat passt die Liste in die Geldbörse. Wie der ähnliche Führer von Greenpeace teilt der Einkaufsführer die Fischarten in drei Kategorien ein – je nachdem, ob der Kauf annehmbar oder bedenklich ist oder nicht in Frage kommt.

Differenziert nimmt er dabei den aktuellen Zustand der Arten und Lebensräume unter die Lupe, sodass sich die Empfehlungen von Fischführer zu Fischführer verändern können. Der Verzehr von Makrelen, deren Bestand noch vor drei Jahren als intakt eingeschätzt wurde, gilt jetzt als bedenklich. Thunfisch aus dem Pazifik (Bonito) stuft der WWF als zweite Wahl ein. Trotzdem sollte sich jeder zweimal überlegen, ob er bei der Pizza oder beim Sushi zum Thunfisch greift. Denn im Mittelmeer wird er gnadenlos überfischt.