Arbeitslosigkeit verstärkt Ausgrenzung

Langzeitarbeitslose haben weniger soziale Kontakte, leben ungesünder und ziehen sich aus dem öffentlichen Leben zurück. Eine neue Studie untersucht, wie Arbeitslosigkeit den Verlust an gesellschaftlicher Teilhabe beschleunigt

VON COSIMA SCHMITT

Sie haben Zeit, zu viel Zeit. Sie könnten Sport treiben, für eine Partei eintreten, in Ehrenämtern aktiv werden. Doch sie tun es seltener als ihre berufstätigen Landsleute. In einer bislang unveröffentlichten Analyse zeigt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), wie sehr Menschen ohne Arbeit gesellschaftlich vereinsamen – und wie sehr das Problem mit der Dauer der Jobsuche zunimmt.

Der Befund zieht sich durch viele Lebensbereiche. So treiben 44 Prozent der Erwerbstätigen Sport – aber nur 20 Prozent der Langzeitarbeitslosen. Fast 40 Prozent der in Lohn und Brot Stehenden geht regelmäßig ins Kino, Theater oder ins Konzert. Bei den Menschen, die vor kurzem erst den Job verloren haben, sind es noch knapp 30 Prozent. Bei Menschen aber, die zwei Jahre oder länger ohne Job sind, besuchen nur noch 18 Prozent kulturelle Veranstaltungen. Vergleichbare Tendenzen zeigen sich beim Kirchgang, beim ehrenamtlichen Engagement, selbst beim Plausch mit Freunden: Nur 68 der Langzeitarbeitslosen, aber 82 Prozent der Erwerbstätigen treffen sich regelmäßig mit Bekannten und Verwandten.

In nur einem einzigen Bereich übertreffen Arbeitslose die Berufstätigen: Sie helfen häufiger Freunden und Verwandten. Überall sonst „geht die individuelle Aktivität mit Dauer der Arbeitslosigkeit zurück“, sagt Gert Wagner, Forschungsdirektor des DIW. Allein mit Finanznöten lässt sich dies laut Wagner nicht erklären. Ähnlich wichtig sei der Verlust an Sozialkontakten, die ein Arbeitsplatz mit sich bringt. Auch der Faktor Scham spiele eine Rolle. Kaum einer gebe etwa im Sportverein gerne zu, ohne Job dazustehen.

Das DIW stützt sich auf Daten des von ihm erhobenen sozioökonomischen Panels, einer Haushaltsbefragung, die die Forscher seit 1984 durchführen. Er liefert eine Datenbasis, anhand derer sich auch Entwicklungen aufzeigen lassen.

So belegen die Zahlen, dass zwar das Interesse an Politik in etwa gleich hoch geblieben ist, sich aber immer weniger Menschen parteipolitisch gebunden fühlen. Gaben etwa Mitte der 80er-Jahre noch über 60 Prozent der Befragten an, einer Partei nahe zu stehen, so bejahen dies heute nicht einmal mehr 50 Prozent. Dieser Trend hat sich bei den Arbeitslosen noch rascher durchgesetzt als in der übrigen Bevölkerung. 70 Prozent der Arbeitslosen sagen: Ich stehe keiner Partei nahe. „Dadurch wächst tendenziell die Anfälligkeit für extreme politische Positionen“, warnt Gert Wagner. Die Forscher fanden auch heraus, wie unglücklich ein Leben ohne Job macht. Erwerbstätige bewerten ihre Zufriedenheit bei einer Skala von 0 bis 10 im Schnitt mit 7,1; bei Langzeitarbeitslosen liegt sie bei nur 4,8.

Wagner sieht diese Daten auch als Hintergrund, der ein anderes Licht auf Diskussionen um prekäre Arbeitsverhältnisse wirft: Befristete Beschäftigungen, selbst Jobs im Niedriglohnsektor seien nicht per se etwas Schlechtes: „Irgendein Job führt schon dazu, dass die Menschen zufriedener mit ihrem Leben sind.“

So bedenklich also die gesellschaftliche Lage der Arbeitslosen bewertet wird, warnte Wagner doch vor Hysterie in der Debatte um die so genannte Unterschicht in Deutschland. Dass ganz akut die Zahl der Armen zunimmt, kann er nicht bestätigen: „Die Armutsquote in jüngster Zeit aufgrund der guten Wirtschaftskonjunktur sicherlich wieder gefallen und wird auf kurze Sicht weiter zurückgehen“. Langfristig aber könnte der Anteil der Armen wieder steigen – weil „zu viele Kinder ohne ordentlichen Abschluss die Schule verlassen“. Denn auch Wagner bestätigt, was Schulforscher seit langem wissen: Nichts bewahrt Menschen so effektiv vor dauerhafter Arbeitslosigkeit wie eine gute Ausbildung.