Die K-Frage

Noch hat Jürgen Klinsmann seinen Vertrag als US-Nationaltrainer nicht unterschrieben – soll er die Herausforderung annehmen? Oder besser auf den Anruf aus Brasilien warten? Eine Karriereberatung

PRO VON DANIEL MÜLLER

„Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer.“ Xavier Naidoos Textzeile steht sinnbildlich für den Weg, den Jürgen Klinsmann in seinen zwei Jahren als DFB-Chefcoach gegangen ist. Und für die medialen Anfeindungen wegen seiner Vielfliegerei am Wegesrand.

Nun also, drei Monate nach seinem Abgang, wird Klinsmann wohl Coach der US-amerikanischen Fußballnationalelf und ganz Deutschland fragt sich: Soll er das wirklich tun? Ja, das soll er – es wäre nur konsequent. Durch seinen Rücktritt ist Klinsmann das gelungen, was Otto Rehhagel nach dem überraschenden griechischen EM-Sieg 2004 verpasst hat: den richtigen Moment zu finden, Servus zu sagen.

In Deutschland hätte Klinsmann bei Qualifikationsspielen gegen die Slowakei und Zypern nur verlieren können. Und jetzt braucht dieser ehrgeizige Mann ein neues Projekt. Das sich einreiht in den Fußball-Masterplan, den der Bäcker entwickelt hat. Mit einer auf Motivation und neuartiger Trainingslehre basierenden Philosophie will er den Fußballsport revolutionieren. Einen besseren Nährboden als die USA mit ihrem schier unerschöpflichen Reservoir an talentierten Sportlern, denen es allenfalls an früher Förderung und Trainererfahrung aus den klassischen Fußballnationen mangelt, könnte Klinsmann gar nicht antreffen.

Den Ausschlag für eine Zusage geben dürfte letztlich seine Familie. In ihrer Nähe zu sein, bedeutet für ihn Glück. Und da kommt es doch gelegen, dass der zentrale Trainingsstützpunkt nur 40 Kilometer von seinem Wohnort Huntington Beach entfernt liegt.

Stellt sich noch die Frage nach dem vermeintlichen sportlichen Abstieg. Ohne Frage, die US-Boys sind im Vergleich zur deutschen Nationalelf das schwächere Team. Aber gerade diese Aufgabe ist für Klinsmann reizvoll. Aus einem durchschnittlich talentierten Team eine Mannschaft zu formen, die dem verklärten sportlichen Anspruch der USA gerecht wird.

Eine ähnliche Bewährungsprobe wie jene, auf die er sich vor zwei Jahren in Deutschland eingelassen hat. Nur mit einem fundamentalen Unterschied: Er genießt den vollständigen Rückhalt des US-Verbands. Die damit verbundene absolute Entscheidungsfreiheit für Trainerstab und Umfeld sind ein Luxus, den Klinsmann in Deutschland nicht hatte und nun verständlicherweise genießen möchte.

CONTRA VON MARKUS VÖLKER

Man kennt die Bilder: Nach der WM hat Jürgen Klinsmann die Ovationen am Brandenburger Tor entgegengenommen, und nur zu gern hätte die Masse ihn als Säulenheiligen in Berlin behalten. Klinsmann ist während des bizarren Sommermärchens zu einer, nun ja, mythischen Gestalt geworden. Fußballtrunkene Götzendiener lagen ihm zu Füßen. Klinsmann war allerdings clever genug, zurück in die USA zu gehen, um dem Kult zu entgehen – und ihn zu beherrschen.

Klinsmann flimmert in diesen Wochen über die Leinwand und Millionen Deutsche schauen sich den Kabinenprediger noch einmal an, um etwas von ihm zu erhaschen, vielleicht sogar sein wahres Wesen, das sich im Film enthüllen möge. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass Klinsmann weg ist, weit weg. Und er sollte wegbleiben, auch von Lockangeboten kickender Schwellenländer. Trainer bei den Amis? Das wäre zu läppisch für einen Klinsmann, der nicht in der Nische, selbst wenn sie noch so hübsch sein mag, arbeiten will. Dem Weltmännle schwebt der große Entwurf vor. Unter einem Coup macht er’s nicht. Das Traineramt in der USA bietet wenig Befriedigung für einen Überzeugungstäter. Fußball gilt in den Staaten nichts. Das wird sich in den kommenden Jahrhunderten auch nicht ändern. Deutschland würde zwar ab und zu ein paar Reporter über den großen Teich schicken, damit Klinsmann sich, wäre er denn US-Coach, seiner Bedeutung gewahr würde, aber „the german bundestrainer“ müsste doch im Verborgenen werkeln. Will er das? Never ever.

Okay, der Job wäre alles andere als stressig, und seine Bonusmeilen müsste er auch nicht verfliegen. Aber Erholung, Ruhe und Kontemplation hatte Klinsmann zuletzt genug. Strand und Familie sind gut und schön, aber irgendwann wird auch Klinsmann wieder mehr wollen. Er sollte, wenn der Drang zur Selbstbestätigung überhandnimmt, nicht das erstbeste Angebot annehmen – was Klinsmann ohnehin nicht täte. Er sollte vielmehr noch ein paar Monate oder Jahre über seine Zukunft nachgrübeln, ein paar kleinere Geschäfte erledigen und dann zurückkommen – mit einer Schar von Psychologen, Physiologen, Muskelmachern, Einflüsterern und Kotrainern. So könnte er Brasilien im Handstreich nehmen, in Argentinien einziehen oder die Niederlande zum WM-Titel führen. Ganz wichtig dabei: Visionen nicht vergessen!