Polens Premier Kaczynski ist in nationaler Mission in Berlin
: Der Brandstifter als Biedermann

Der ganze Streit war nur ein Missverständnis? Im Vorfeld seines gestrigen Gesprächs mit Kanzlerin Angela Merkel bemühte sich Polens Premier Jaroslaw Kaczynski sichtlich darum, das polnisch-deutsche Verhältnis zu verbessern. Was allerdings Angela Merkel nach dem Berliner Treffen zu vermelden hatte, war die diplomatische Umschreibung einer Eiszeit. Denn, so Merkel: Die Gespräche seien „sehr konstruktiv, sehr offen und sehr ehrlich“ geführt worden.

Die politische Eiszeit hat vor allem zwei Gründe: Zum einen fürchtet das politische Lager um die Kaczynski-Zwillinge, Polen werde, wie schon mehrfach in seiner Geschichte, von seinen beiden mächtigen Nachbarn Russland und Deutschland „in die Zange genommen“. Dabei wird ein berechtigter Kritikpunkt – der sanfte deutsche Umgang mit dem Autokraten Putin – genutzt, um polnische Existenzängste zu schüren. Gleiches gilt auch für die polnische Ablehnung der Gaspipeline durch die Ostsee und des Kompromissvorschlags einer polnischen Anbindung. Ganz so, als ob nicht auch Putins Russland auf den Export des Erdgases angewiesen wäre, wird ein Erpressungsszenario an die Wand gemalt.

Zum Zweiten bringt die polnische Regierung das „Zentrum gegen Vertreibungen“ und den Bund der Vertriebenen in direkten Zusammenhang mit den Entschädigungsforderungen der „Preußischen Treuhand“ gegenüber Polen. Wider besseres Wissen wird dem Vertriebenenbund unterstellt, er unterstütze Entschädigungsforderungen gegenüber Polen. Es geht der Kaczynski-Regierung dabei eindeutig nicht um eine Klarstellung der deutschen Regierungsposition hinsichtlich solcher Forderungen – denn die ist längst gerichtsnotorisch: Abweisung der Klagen. Vielmehr wird auch hier Verunsicherung und Angst genährt.

Außenpolitik ist den Kaczynskis nur ein Instrument für die nationalistische Formierung im Innern. Aber sie zeitigt schon jetzt negative Auswirkungen in Deutschland. Alte und neue Stereotype schießen ins Kraut. Aber gleichzeitig zeigen die vielfältigen polnisch-deutschen Beziehungen eine zähe Beharrungskraft – den widrigen Umständen zum Trotz. CHRISTIAN SEMLER