Auftrag Nummer zwei

Musik wie bei Viva zwei und Videoschnipsel wie bei YouTube: Der Online-Musiksender Motor TV versucht, das Beste aus zwei Welten zu verbinden – und sich nicht dabei zu überschätzen

VON BETTINA SCHULER

„Wir haben einen Auftrag.“ Mit diesem Slogan startet am 1. Februar 2005 das Berliner Privat- und Internetradio Motor FM seinen regulären Sendebetrieb. Streng nach dem Motto „Nicht klagen, sondern selber machen“ wollte Tim Renner, der ehemalige Deutschland-Chef von Universal Music und jetziger Betreiber von Motor Entertainment, einen Radiosender ins Leben rufen, der sich der vernachlässigten Musik abseits des Mainstreams widmet. Und sich statt über nervige Werbung durch Marketing-Kooperationen und Audio-Downloads finanziert. Der Versuch ist ihm geglückt: Schon im ersten Jahr seines Bestehens schrieb Motor FM nach eigenen Angaben schwarze Zahlen. Warum also das gleiche Konzept nicht für einen TV-Sender anwenden? Das Ergebnis dieser Überlegungen ist www.motortv.de, das seit dem 21. September in Berlin terrestrisch über DVB-T und übers Handy, bundesweit aber übers Internet zu empfangen ist.

Elektro, Punk, Indie, Rock und Alternative stehen bei Motor TV ebenso auf dem Programm wie bei der Radioschwester. Musik, die dank der anhaltenden Renaissance von Gitarrenbands und ihrer weltweiten Verbreitung im Internet längst nicht mehr einem kleinen Kreis von Kennern vorbehalten ist, sondern absolut im Trend liegt und somit auch Werbepartnern Anreiz bietet, sich als Sponsoren zu engagieren. Ein finanzieller Vorteil, von dem der 2002 eingestellte Alternativsender Viva zwei nur träumen konnte.

Keine Moderatoren

Entgegen allen Vergleiche und Unkenrufen versteht sich Motor TV nicht als Konkurrent zu MTV oder Viva, sondern als ein Herzensprojekt, das sowohl unterrepräsentierten Künstlern ohne Major-Label-Deal, als auch den Zuschauern selbst die Möglichkeit bietet, sich im TV und Netz zu repräsentieren. Der Erfolg von Bands wie den Arctic Monkeys, die über ihre Songs auf MySpace in kürzester Zeit weltweit bekannt wurden oder von OK Go, die dank der großen YouTube-Fangemeinde ihres Videos „Here It Goes Again“ bei den MTV Video Music Awards auftraten, zeigt, welch ein Potential in der Verbreitung übers Netz steckt.

Die Mail- und Mund-Propaganda des Internets zu nutzen – das wirkt sich zudem noch recht kostengünstig auf das Programm aus. Bislang beschränkt es sich vornehmlich auf das Abspielen von Musikvideos, die nur vereinzelt von redaktionellen Schnipseln unterbrochen werden. Auf Moderatoren wird vollkommen verzichtet. Dabei versteht sich die Redaktion, die eng mit der 15-köpfigen Crew von Motor FM zusammenhängt – nur zwei Redakteure wurden zusätzlich eingestellt –, als Filter, der aus dem Wust des Internets und den zahlreichen Einsendungen die Perlen herausfischt. So folgt auf das Video der Deutschrocker TempEau der neueste Clip der englischen Indie-Band Duels inklusive eines kurzen redaktionellen Einspielers, in dem die wichtigsten Eckdaten steckbriefartig eingeblendet werden. In der Kategorie „Starthilfe“ wiederum werden weniger bekannte Bands wie die Combo Klez.E porträtiert, bei „Neu Auf Motor“ gibt es den aktuellen Track der Berliner Super700 zu hören, wohingegen man in „Du auf Motor“ selbstproduzierte Videoschnipsel der Zuschauer sieht.

Finanziert wird das Ganze ebenso wie bei Motor FM durch so genannte „Markenkooperationen“, also Sponsoring, und Audio-Downloads, wobei das Runterladen noch keine allzu große Rolle spielt, sondern primär als eine Weichenstellung für die Zukunft verstanden wird. Kein Wunder: Denn auch wenn der legale Downloadmarkt in Deutschland ein Wachstum von über 36 Prozent verzeichnet, bleibt dieser doch weit hinter den Erwartungen zurück. Bei einem durchschnittlichen Preis von 11,99 Euro für ein Album und 1,29 Euro für einen Song im Motor-Shop kann sich das Angebot bei schneller steigendem Wachstum jedoch schnell rentieren.

Es sei in jedem Fall wichtig, so Programmchefin Mona Rübsamen, die Kosten für Motor TV möglichst gering zu halten, um die Unabhängigkeit des Programms zu garantieren. Denn wenn die Motor-Crew eines vermeiden möchte, dann inhaltliche Abstriche machen zu müssen auf Grund von zu schnellem Wachstum. Deshalb wird auch auf die Synergie mit dem Radio gesetzt, dank dessen Ressourcen man keine Million Euro mehr braucht, um einen Sender wie Motor TV zu betreiben.

Todesstoß durch Satellit

„Wir sind aufgrund unser Berufserfahrung alle gebrannte Kinder“, so Rübsamen, die MTV Deutschland mit aufgebaut hat und das Geschäft nur allzu gut kennt. Deshalb ist auch eine teure bundesweite Sendeverbreitung via DVB-T oder Satellit kein erklärtes Ziel. Warum sich auch dem finanziellen Druck aussetzen, wenn ein bundesweiter Empfang schon durch das Internet gesichert ist? Ein weiser Entschluss, denn für das defizitäre Viva zwei bedeutete das Aufschalten auf Satellit und die damit verbundenen Kosten den entgültigen Todesstoß.

Ob das Konzept aufgeht, bleibt abzuwarten – immerhin gibt es im Bereich Musikvideos mit bunch.tv oder tunespoon.tv genug Konkurrenz im Internet. Und dank YouTube oder MySpace ist auch jedem bereits die Möglichkeit gegeben, sich und seine Projekte ins Netz zu stellen. Den Schritt ins klassische Fernsehen eröffnet aber nur Motor TV. Die bisherige Resonanz spricht in jedem Fall für das Projekt: In den ersten zwei Wochen haben sich 600.000 User das Programm im Netz angeschaut. Davon 25 Prozent länger als eine Stunde, was dafür spricht, dass der Sender tatsächlich auch als Internetfernsehen genutzt wird.