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: HELMUT HÖGE über die freie Wahl

„Dein Körper gehört dir, nicht wie ein geistiges oder historisches Eigentum, sondern wie ein Auto oder ein Bankkonto, … du kannst ihn verkaufen, vermieten, drauf sitzenbleiben, ihm Mehrwert abtrotzen oder ihn verspeku-lieren.“ (Georg Seeßlen)

In den Kontaktanzeigen von Tip oder Zitty finden sich immer häufiger E-Mail-Adressen. Das ist aber nur eine Vorform der boomenden „Online-Partnersuchdienste“. Im Potsdamer Einsteinforum präsentierte kürzlich die israelische Kulturwissenschaftlerin Eva Illuoz ihr Buch über die Nutzer dieser Suchdienste. Indem sie ihr „Profil“ ins Netz stellen, wird ihr „privates Selbst in einen öffentlichen Auftritt verwandelt“. Dadurch erfährt die „Ordnung, in der romantische Interaktionen traditionellerweise stattfinden, eine Umkehrung … Die virtuelle Begegnung wird so buchstäblich innerhalb der Marktstrukturen organisiert … Das Internet setzt jeden, der nach anderen sucht, auf einem offenen Markt der Konkurrenz mit anderen aus.“

Dadurch macht das Internet „aus dem Selbst eine öffentlich ausgestellte Ware“ – was heißt, dass auch und gerade die seriösesten „Partnersuchdienste“ wie Bordelle funktionieren. Anders gesagt: Wir müssen uns prostituieren, wenn wir nicht allein sein wollen. Damit ist aber die Prostitution im eigentlichen Sinne (das Zur-Schau-Stellen) an ihr Ende gekommen. Eva Illouz sagt es so: „Durch die Präsentation (mit Photo und Text) finden sich die Individuen buchstäblich in der Position von Leuten wieder, die für die Schönheitsindustrie als Models oder Schauspieler arbeiten, d. h. sie finden sich in einer Position wieder, a) die ihnen ein Höchstmaß an Bewusstsein für ihre physische Erscheinung abverlangt; b) in der ihr Körper die Hauptquelle sozialer und ökonomischer Werte ist; c) wo sie über ihren Körper in Konkurrenz zu anderen treten; d) wo ihr Körper und ihre Erscheinung insgesamt öffentlich ausgestellt werden.“

Vielleicht verstehen wir jetzt, warum für den „Haufen Sandkörner“ (Mao Tse-tung), der wir selber werden, auch bald nur noch gilt, was die Neodarwinisten für die einzig relevanten Evolutionskräfte halten – erbarmungslose Auslese und Survival of the Fittest. „Eine globale Gesellschaft beruht auf Menschenstaub“, sagte Claude Lévi-Strauss.

Eva Illouz kommt bei der Sichtung der „photographischen Profile“ zu dem Schluss, dass sie „mit den etablierten Richtlinien für Schönheit und Fitness“ übereinstimmen, während die Texte zur „Präsentation des Selbst“ sich durch „Uniformität, Standardisierung und Verdinglichung“ auszeichnen. Letzteres kann man auch den Anzeigen in Zitty und Tip entnehmen. Die an solchen „Kontakten“ Interessierten stehen damit laut Eva Illouz vor dem Problem, wie sie mit der immer „größer werdenden Zahl und Geschwindigkeit romantischen Konsums und romantischer Tauschgeschäfte umgehen sollen“. Mit diesem Oxymoron bezeichnet sie einen „Prozess“, der sich dem des „Tele-Marketings“ angleicht: „Das Selbst muss hier wählen und seine Optionen maximieren, es ist gezwungen, Kosten-Nutzen-Analysen und Effizienzberechnungen durchzuführen.“ So „radikalisiert das Internet die Forderung, für sich selbst das beste (ökonomische und psychologische) Geschäft zu machen“… d. h. nach Wegen zur „Verbesserung der eigenen Marktposition zu suchen“.

Die Prostitution geht in diesem massenhaften „romantischen Konsum“ auf, der seinerseits nichts anderes als ein Beziehungsgeschäft ist: „Fast alle meine Interviewpartner haben erwähnt, dass ein Treffen von ihnen verlangt, sich zu ‚vermarkten‘ und sich so zu verhalten, als ginge es um ein Jobinterview“, bei dem sie sich optimal präsentieren müssen, um genommen zu werden. Anders als bei den wirklichen Vorstellungsgesprächen trifft dies jedoch sowohl auf den Interviewten als auch auf den Interviewer zu – sie müssen ihre Rollen beim Treffen ständig austauschen.