Deutschland muss handeln
: Kommentar von Manfred Kriener

Die Kohlendioxid-Konzentration der Erdatmosphäre ist auf die Rekordmarke von 380 ppm gestiegen: Das ist der höchste Wert seit 3,5 Millionen Jahren. In der Warmzeit des mittleren Pliozän sollen ähnliche Bedingungen geherrscht haben. Neun Jahre nach Kioto und 14 Jahre nach Rio ist die Menschheit mit ihrem wichtigsten Projekt keinen Zentimeter vorangekommen: die Erde aus dem Schwitzkasten der Klimakatastrophe zu befreien. Im Gegenteil: Der Ausstoß des Klimakillers Kohlendioxid steigt weltweit mit fast naturgesetzlicher Konstanz dramatisch an, die Erdatmosphäre wird stärker denn je als Müllhalde benutzt.

Auch Europa wird seine Reduktionsziele nicht erreichen, das steht jetzt schon fest. Und in der Bundesrepublik, bei der großen Umweltlokomotive, verzeichnet der Klimaschutz schockierende Rückschläge. Beim Emissionshandel hat Minister Gabriel der Industrie so großzügige CO2-Budgets genehmigt, dass der frühere Umweltstaatssekretär Baake von „einer Lizenz zur Emissionssteigerung“ spricht. Im Verkehr sieht es noch düsterer aus. Im Vergleich zum Referenzjahr 1990 hat der CO2-Ausstoß um über 20 Prozent zugelegt. Mit viel Getöse hatte sich die Autoindustrie auf einen Flottenwert von 140 Gramm Kohlendioxid selbstverpflichtet. Sie ist weit davon entfernt. BMW stinkt mit 190, Mercedes mit 180 Gramm. VW ist gleich mehrfacher Spitzenreiter: beim höchsten Spritverbrauch aller Autos. Und im Luftverkehr sind 15 Jahre nur heiße Luft zu bilanzieren: weder Emissionshandel noch Ticketabgabe oder Kerosinsteuer.

Nach Aussagen des Chefklimatologen der Nasa bleiben der Menschheit nur noch zehn Jahre Zeit für echten Klimaschutz. Die Bundesregierung übernimmt jetzt mit dem G-8-Vorsitz und der EU-Ratspräsidentschaft eine Schlüsselrolle. Es muss endlich vorangehen. In zwei Wochen beginnen in Nairobi die Verhandlungen zum Kioto-Folgevertrag. Schicksalstage für den blauen Planeten. Zumindest die Buchhaltung der Katastrophe ist mustergültig. Während der Eisschild der Erde in Zeitlupe schmilzt, messen wir brav immer neue Rekordtemperaturen. Und auch die Ausrottung eines Viertels aller landlebenden Tierarten wird sauber verwaltet.