Schlachtfeld Familie

Was ist schwerer zu ertragen: gewöhnliche oder provozierende Biederkeit? Die Hofer Filmtage dominierte ein wertkonservatives Kino – mit Pseudotabubrüchen und spießigen Frauenbildern

VON ANKE LEWEKE

Schon in der ersten Vorstellung floss Sekt, ausgegeben von einer netten Kollegin. Prompt fühlte man sich wieder zu Hause. Man stieß auf den deutschen Film und 40 Jahre Hofer Filmtage an und schüttete gut gelaunt die zuckrige Brühe runter, während der Festivalleiter Heinz Badewitz einen seiner dadaistischen Auftritte hinlegte: „Das war der Kurzfilm. Jetzt kommt der Langfilm. Der ist natürlich länger.“

Eigentlich war in Hof alles wie immer. Dennoch stellte sich bald eine leise Melancholie ein. Mit Zelluloidstreifen, Filmrollen und Fotos aus vierzig Jahren Hofer Kinogeschichte gratulierten die Läden der Einkaufsstraße ihrem Festival, auch der Beate-Uhse-Shop machte mit. Zwischen Latex-Strings und und dem Slogan „Sex up your life“ hingen Bilder von Rainer Werner Fassbinder, Vlado Kristl und Werner Herzog.

Könnte man sich auch die Katalogfotos der diesjährigen Hof-Regisseure in dieser Gesellschaft vorstellen? Wohl eher nicht. Auf dem Festival, das einst ausgezogen war, Opas Kino vors Schienbein zu treten, präsentierte sich das deutsche Kino ausgerechnet im Jubiläumsjahr ausnehmend wertkonservativ. Dabei will ein Film wie Oliver Rihs’ „Schwarze Schafe“ durchaus provozieren. In aufdringlich schmuddeligem Schwarzweiß gedreht, schreit uns jedes Bild dieses Berlinfilms lautstark entgegen: „Hallo, ich bin Trash! Ich komme aus dem Underground!“ Nur mit Mühe lässt sich über WG-Genossen lachen, die wegen einer Rohrverstopfung die Scheiße in Eimern herumtragen und dabei politische Phrasen dreschen. Oder über Robert Stadlober und Tom Schilling, die ihn ihrem bewusst schrägen Freakoutfit an kölsche Karnevaljecken erinnern, die sich nach Berlin verirrt haben. Als Tagediebe versucht sich das angestrengt plappernde Duo durchs hauptstädtische Leben zu schlagen. Man züchtet Marihuana in Baumkronen und bumst irgendwann auch eine komatöse Oma. Oliver Rihs’ vermeintliche Tabubrüche haben nichts zu erzählen. Aus Provokation wird Provo, nichts ist langweiliger und biederer.

Was ist schwerer zu ertragen, die provozierende oder die biedere Biederkeit? Immer wieder verließ man die Hofer Kinos mit einem Gefühl des Unbehagens. Man will sie einfach nicht mehr sehen, diese traurigen, verzweifelten Frauen, die an ihren eigenen Ansprüchen und sich selbst leiden. In der fränkischen Provinzstadt traten sie gleich scharenweise auf. Fackelträgerinnen des konservativen Frauenbilds, auf das sich die deutschen Medien so harmonisch eingestimmt haben. An „Schwesterherz“ hätte auch Eva Herman ihre helle Freude. Heike Makatsch, die am Drehbuch mitschrieb, spielt eine junge Frau, deren Selbstbewusstsein während einer gemeinsamen Ferienreise mit der jüngeren Schwester langsam zerbröckelt. Ed Herzogs unangenehmer Film muss seine Hauptfigur demütigen und ihr beweisen, dass Frauen, die Karriere und Privatleben unter einem Hut bringen, reine Utopie sind. Denn, so lautet die klare Botschaft: Erfolg macht zynisch, einsam, verbittert und zudem noch reichlich unsexy. Wenn Makatsch im Suff mit einem Jugendlichen rummacht, muss dieser angesichts ihrer Dominanz ziemlich schnell klein beigeben.

Ausgerechnet Katja Riemann ließ sich nicht in die spießigen Frauenbilder der 40. Hofer Filmtage einengen und stattete ihre Filmfigur mit wunderbarer Selbstironie aus. Vor nicht allzu langer Zeit wartete die Schauspielerin in Beziehungskomödien noch auf den Märchenprinzen, der sie an Heim und Herd führt. Alain Gsponers „Bumm! Deine Familie, dein Schlachtfeld“ malt aus, wie dieses Glück nun nach einigen Jahren aussehen könnte. In einem durchgestylten Bungalow lebt Riemanns Sybille mit Mann und zwei Söhnen friedlich aneinander vorbei. Als der Gatte arbeitslos wird, muss man sich plötzlich miteinander beschäftigen. Gsponers Film zeigt das klassische Kleinfamilienmodell als fragile Konstruktion, als Kartenhaus, das schon beim kleinsten Luftzug in sich zusammenfallen kann.

Auch Ingo Hoebs und Jan-Christoph Glasers Film „Neandertal“ handelt vom Familienparadox des Nicht-ohne-aber-auch-nicht-miteinander-Könnens. Auch hier wird kein Schuldiger gesucht, sondern jeder Figur die eigene Perspektive gegönnt. Im Mittelpunkt steht Guido, der seit frühester Kindheit an Neurodermitis leidet. Wenn er unter der Dusche steht, spürt man, dass er sich nicht nur den schrecklichen Ausschlag, sondern auch ein Familienleben vom Leibe halten will, das nur noch Lügen zusammenschweißen. Nach der Vorführung seines seltsam beeindruckenden Films erzählte Ingo Hoeb von der schwierigen Finanzierung von „Neandertal“. Stets sei er mit der Begründung ablehnt worden, dass man Neurodermitis nicht zeigen könne – geschweige denn sehen wolle.

Auch für Frauenfiguren wie Maren Kroymanns Elsa scheint hierzulande kein Platz zu sein. Mit ganz unaufgeregter Intensität folgt Angelina Maccarone der Bewährungshelferin Elsa (Maren Kroymann), die mit einem ihrer jugendlichen Probanden ein sadomaschistisches Verhältnis eingeht und sich damit einen Rückzugsort für ganz eigene Sehnsüchte schafft. Dabei werden die sexuellen Abhängigkeitsspiele auch zum Vergrößerungsglas für ein Leben, das sich selbst in Frage stellt. Wenn sich Elsa gegen Ende eine Sonnenbrille aufsetzt, dann fühlt man sich ein wenig an die Frauenfiguren von Gena Rowlands erinnert, die ihre Verletzlichkeit auch immer vor fremden Blicken verbergen mussten.

Angelina Maccarones Film „Verfolgt“ entstand ganz ohne öffentliche Förderung, das gesamte Team bekam einen Einheitslohn ausgezahlt. Und so besteht die Jubiläumsquintessenz der 40. Hof-Ausgabe wohl in der bedauerlichen Feststellung, dass es die besten und eigenwilligsten Filme in der hiesigen Filmlandschaft immer noch am schwersten haben.