Experiment mit der Weltöffentlichkeit

Ein schwanzgesteuerter, rassistischer Trottel aus Kasachstan reist durch die USA: „Borat“ von Sacha Baron Cohen erschließt der Filmsatire neues Terrain

von BERT REBHANDL

Für die zentralasiatische Republik Kasachstan haben sich lange Zeit nur Rohstoffschürfer interessiert. Wer dort herrscht, seit das Land aus der Sowjetunion hervorgegangen ist, was die Menschen dort machen, ob sie sich nach Russland oder nach China (oder gar nach Amerika) orientieren, war kein Thema. Kasachstan war nicht mehr als ein großer Fleck weit hinten auf dem Globus, bis der britische Komiker Sacha Baron Cohen sich frech zum ersten Bürger dieses Landes erklärte.

Er heißt nun Borat Sagdiyev, er lebt in einem kleinen Dorf, in dem die Sitten nicht auf dem neuesten Stand sind. An hohen Feiertagen werden Juden durch die Dorfstraße getrieben, zur Erinnerung an frühere Pogrome. Die Frauen sind dick, die Nachbarn missgünstig, die blonde Schwester für jeden zu haben, der dafür zahlt. Borat ist der Intellektuelle in einer primitiven Gemeinschaft. Deswegen fällt ihm die Mission zu, von der nun ein Film berichtet: „Borat – Kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation Kasachstan zu machen“ erzählt davon, wie Borat Sagdiyev sich in Begleitung seines Produzenten Azamat Bagatov nach Amerika aufmacht, um dort den „modern way of life“ zu studieren. Er will mit einem Dokumentarfilm nach Hause zurückkehren, um mit diesem Anschauungsmaterial sein Land auf Vordermann zu bringen.

Der entscheidende Gag an „Borat“ liegt darin, dass Sacha Baron Cohen diese „kulturelle Lernung“ radikal ernst genommen hat. Zwar ist Borat Sagdiyev eine Kunstfigur, seine Reise durch Amerika hat aber tatsächlich stattgefunden, und die Aufnahmen, die er mitgebracht hat, sind auf prekäre Weise authentisch: Sie zeigen, wie Menschen in den USA reagieren, wenn sie an einen schwanzgesteuerten, rassistischen Trottel geraten. Manche brechen das Gespräch indigniert ab, wie die drei Feministinnen, die sich nicht als „pussy“ sehen. Andere geben leutselige Antworten auf unglaubliche Fragen, wie der Gebrauchtwagenhändler, von dem Borat wissen will, ob das Auto Schaden nähme, wenn er es in eine Gruppe Zigeuner lenkte. „Kommt auf die Geschwindigkeit an.“

Das Prinzip der versteckten Kamera wird in „Borat“ verschärft. Denn die Kamera selbst ist nicht unsichtbar, nur der Kontext der Aufnahmen bleibt verdeckt durch die Hartnäckigkeit, mit der Sacha Baron Cohen an seiner pseudonymen Existenz als Borat festhält. So wird er tatsächlich an vielen Orten als Emissär aus Kasachstan empfangen. Den Höhepunkt erreicht diese Reise von der Ostküste nach Kalifornien im amerikanischen Heartland, wo Borat bei einem Rodeo auftritt. Er wünscht den USA alles Gute bei ihrem „war of terror“ und singt dann zur Melodie des „Star Spangled Banner“ die kasachische Nationalhymne, die den Begriff „failed state“ völlig neu definiert.

Spätestens hier ist klar, dass die Entstellung, die Sacha Baron Cohen an einem tatsächlich existierenden Land vornimmt, ein strategisches Manöver ist, das direkt auf die Geopolitik selbst zielt. Kasachstan muss herhalten, um die fragwürdigen Vorstellungen von Zivilisation und Modernität zu entlarven, aus denen „der Westen“ seinen historischen Vorsprung errechnet. Die USA, nominell die letzte Supermacht, sind in „Borat“ schon auf dem Weg in die Barbarei. Eindeutig weist die agitatorische Spitze von Sacha Baron Cohen in diese Richtung, und doch war es unweigerlich das richtige Kasachstan, das sich durch den Film schlecht repräsentiert und beleidigt fühlte. Der Versuch, mit Öffentlichkeitsarbeit und möglicherweise einem Gegenfilm eine Groteske richtigzustellen, ist natürlich selbst grotesk – und ganz im Sinne des Medienexperiments mit der Weltöffentlichkeit, das Sacha Baron Cohen hier gestartet hat. Obwohl inzwischen überall bekannt ist, dass er in Wahrheit aus einer gutsituierten britischen Familie stammt, dass er in Cambridge studiert hat und als Komiker Ali G schon mit ethnischen Stereotypen und rassistischen Klischees gearbeitet hat, bleibt er nun ungerührt auch außerhalb des Films in der Rolle des Borat Sagdiyev und treibt das Spiel einfach weiter: Wenn Kasachstan sich durch „Borat“ hintergangen fühlt, dann steckt sicher Usbekistan hinter der Sache. Den Vorwurf des Antisemitismus entkräften die Verteidiger von Sacha Baron Cohen mit dem Hinweis, er sei selber Jude und habe eine Studienarbeit über den jüdischen Beitrag zur amerikanischen Bürgerrechtsbewegung geschrieben. Damit versuchen sie, ein Manöver hinten herum wieder politisch korrekt zu machen, das als solches nicht zu retten ist.

Von den Idiomen der Außenseiter haben Ali G und Erkan & Stefan und Legionen anderer Komiker gelernt, dass ein Schimpfwort wie „Nigger“ zu einer Waffe der Selbstermächtigung werden kann. Sacha Baron Cohen kann diese Umwertungen schon voraussetzen. In „Borat“ lässt er nun auch noch die Logik der Gruppe (des Volks, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der religiösen Zugehörigkeit) hinter sich und macht den Nationalstaat zum Trottel der Weltgesellschaft. Kasachstan möchte aufschließen, der „Benefiz“ geht aber nach hinten los, weil es vorne nichts mehr gibt. Fortschritt ist eine Illusion, die Geschichte ist nach 1989 und 2001 nicht zu Ende, sie ist nur in eine wirre Regression verfallen. Genau genommen gibt es bei „Borat“ nicht viel zu lachen. Man kann dann aber doch nicht anders.

„Borat“. Regie: Sacha Baron Cohen. Mit Sacha Baron Cohen u. a. USA 2006, 82 Min.