Reverie in Pastell

Zuckersüß, frivol, naiv: Sofia Coppolas Spielfilm „Marie Antoinette“ nähert sich der austrofranzösischen Königin ohne historiografischen Ehrgeiz

von CRISTINA NORD

Unter den vielen Köstlichkeiten, die der k. und k. Hof- und Zuckerbäcker Chr. Demel & Söhne, ansässig am Kohlmarkt in Wiens erstem Bezirk, herstellt, sticht eine hervor: kandierte Veilchen. Aus den Blumen entstehen kleine, lilafarbene, frivol geformte Objekte. Sie sind matt, doch sobald Licht auf sie fällt, funkeln sie wie Bergkristall. Ihre Süße ist weniger zuckrig als fremd und herausfordernd. Im Mund fühlen sie sich zunächst hart an, im Kontakt mit Zunge und Gaumen dann zerfallen sie zu Bröckchen, und am Ende, wenn kaum noch etwas von ihnen übrig ist, gibt sich ein winziges, weiches Stück Blütenblatt preis.

Vielleicht hatte Sofia Coppola ein ähnlich süßes Raffinement im Sinn, als sie „Marie Antoinette“, ihr period piece über die gleichnamige austrofranzösische Königin (1755–1793), drehte: Kein schwergewichtiger Film über den Hof von Versailles am Vorabend der Französischen Revolution sollte es werden, sondern eine Reverie in Pastellfarben; nichts lag der jungen Regisseurin am historischen Nähr-, viel am betörenden Naschwert, wenig an der Sache der Republik und viel daran, der königlichen Dekadenz mit staunendem Wohlwollen zuzuschauen. Coppola folgt der Geschichte Marie Antoinettes (Kirsten Dunst) von dem Augenblick an, als sie, eine Jugendliche noch, von Wien aus Richtung Frankreich aufbricht, um den Thronfolger Ludwig XVI. (Jason Schwartzman) zu heiraten. Sie endet, als die königliche Familie aus dem von aufgebrachten Massen umstellten Schloss von Versailles flieht – das letzte Bild zeigt einen leeren, verwüsteten Salon. Die Hinrichtung der Königin im Oktober 1793 bleibt blinder Fleck.

Die Reize junger Frauen

Das allererste Bild schert aus dem chronologischen, wenn auch elliptischen Erzählmodus aus. Es zeigt eine neckisch auf einer Chaiselongue hingebettete Kirsten Dunst in rosafarbenem Kleid, eine rosafarbene Torte an ihrer Seite: ein Echo auf die Eröffnungsbilder der vorangegangenen Filme. In „The Virgin Suicides“ (1999) lässt Kirsten Dunst keck eine rosafarbene Kaugummiblase platzen, in „Lost in Translation“ (2003) verliebt sich die Kamera in Scarlett Johanssons Hintern, der, da er nur von einem durchscheinenden, rosa Slip bekleidet ist, besonders gut zur Geltung kommt. Mädchen an der Schwelle zum Frausein waren schon in diesen Filmen Coppolas bevorzugte Figuren. Deren besondere Reize in Szene zu setzen zählt zu den Stärken der Filmemacherin.

Das gilt auch für „Marie Antoinette“. Die erste Hälfte des Filmes erkundet, wie die junge Österreicherin in Versailles fremdelt, wie sie sich am Protokoll reibt, wie sie sich der Arroganz der Höflinge zum Trotz den jugendlichen Elan bewahrt. Ein Spannungsbogen entsteht, da Coppola der Frage nachgeht, wann das jung vermählte Paar die Ehe endlich vollzieht, sodass ein Thronfolger geboren werde. Solange dies nicht geschah, war der Status Marie Antoinettes am Hof von Versailles ungesichert, hätte die Ehe doch jederzeit annulliert werden können.

Der zweite Teil verschreibt sich stärker als der erste einer ziellosen, gleitenden Erzählweise, in der schließlich die Ereignisse von 1789 wie aus der Ferne winkende Gestalten aufscheinen. Bälle, Kleider, Perücken, Schoßhunde, Colliers, Torten, Schuhe, Champagner, die fliegenden Würfel an den Spieltischen, die an Rousseau geschulten Augenblicke im hohen Gras des Landhausgartens: All dies ist nicht nur der Figur Marie Antoinette wichtiger als etwa Verträge mit den eben unabhängig gewordenen USA, Kriegshandlungen mit Polen oder protestierende citoyens. Es ist auch der Regisseurin Sofia Coppola wichtiger als jede aktive Form einer historiografischen Stellungnahme.

Diese Entscheidung zur Grundlage des Filmes zu machen, stellt ein Risiko dar. Der Vorwurf der Oberflächlichkeit liegt nahe, ebenso wie der Vorwurf der Frivolität, der Geschichtsklitterung, der Naivität. Alle Vorwürfe sind richtig und weisen doch ins Leere – warum sollte „Marie Antoinette“ nicht oberflächlich, frivol und naiv sein? Was spricht dagegen, wenn der Film einen Maskenball mit einem Song von Siouxsie & The Banshees unterlegt? Warum darf er sich nicht weigern, die historiografisch korrekte Einordnung zu vollziehen – er ist schließlich kein Geschichtsbuch? Es ist, als wollte man einem Großstadtfilm vorwerfen, er spiele nicht auf dem Land.

Lüstern und leichtfertig

Die Probleme liegen anderswo: nämlich dort, wo die Leichtigkeit von Coppolas mise en scène in Leichtfertigkeit umschlägt. Die Regisseurin mag Pointen, die etwas allzu Grobes haben; sie stellte diese Neigung schon in „Lost in Translation“ unter Beweis, etwa als sie eine japanische Prostituierte in Bill Murrays Hotelzimmer schickte und die arme Dame dort zu einer Lachnummer zwang. In der deutschen Synchronisation wurde dies umso unappetitlicher, je häufiger die Japanerin „Lupf meine Stlümpfe“ schreien musste.

In „Marie Antoinette“ gibt es viele vergleichbare Augenblicke – Szenen, in denen Coppola lieber dick aufträgt, als subtil zu bleiben. Etwa wenn der alte König, Ludwig XV. (Rip Torn), vor Marie Antoinettes Ankunft an der austrofranzösischen Grenze einen Berater fragt, wie denn der Busen der jungen Frau beschaffen sei, und im Anschluss nicht nur sein lüsterner Blick, sondern auch dessen Objekt ausgiebig in Szene gesetzt werden. Den Nichtvollzug der Ehe verwandelt Coppola in fast slapstickartige Arrangements, und um die Lächerlichkeit von Protokoll und Etikette auszustellen, ist ihr jedes Mittel recht. Diese Grobheiten fahren brachial in den traumwandlerischen Duktus des Filmes hinein, sie führen dazu, dass „Marie Antoinette“ eher zucker- denn betörend süß ist. An das Raffinement kandierter Veilchen reicht das nur selten heran.

„Marie Antoinette“, Regie: Sofia Coppola. Mit Kirsten Dunst, Jason Schwartzman u. a., USA 2006, 123 Min.