Der Hunger nach wirksamem Protest

Der Politologe Peter Grottian regt einen mehrwöchigen Hungerstreik an, um öffentlichkeitswirksam gegen die Sozialreform Hartz IV zu protestieren. Doch selbst im linken Sozialforum stößt der radikale Vorschlag auf Skepsis

Der Politologe Peter Grottian sorgt mal wieder für Wirbel. Sein jüngster Vorschlag ärgert diesmal allerdings nicht die etablierte Politik. Stattdessen gibt es heftige Diskussionen innerhalb der sozialen Bewegung. Gemeinsam mit drei AktivistInnen aus ostdeutschen Sozialbündnissen hat der FU-Professor einen Hungerstreik gegen die Sozialreform Hartz IV vorgeschlagen. In mehreren Städten sollen Betroffene zwei bis drei Wochen die Nahrung verweigern – in Berlin öffentlichkeitswirksam in der Nähe von Ministerien und Parteizentralen von SPD und CDU. Damit soll die Bundesregierung aufgefordert werden, weitere Hartz-IV-Kürzungen zu unterlassen und die ALG-II-Sätze bis zum 1. Januar auf 500 Euro pro Person monatlich anzuheben. Bisherige Proteste hätten keine Änderungen gebracht, erklärt Grottian. Viele Menschen wüssten nicht, wie sie sich noch wehren sollen.

Dem kann Ralf Engelen nur beipflichten. „Die Ohnmacht und Wut ist groß“, meint der politisch aktive Hartz-IV-Betroffene. Seinen Plan, sich am Hungerstreik zu beteiligen, habe er allerdings nach einem Gespräch mit einem Arzt aufgegeben.

Mag Wompel, Redakteurin der sozialpolitischen Internetplattform Labournet, bezeichnet den Aufruf hingegen als „fahrlässig und zynisch“. Nicht die Verantwortlichen, sondern vielmehr die Opfer von Hartz IV würden die Folgen spüren. Die Regierung würde zudem nicht wegen einiger Hungerstreikender ihre Politik ändern, wenn sie selbst die Massenproteste aussitzen konnte. „Wem nützt und wem schadet ein Hungerstreik, wenn die Überflüssigen und Aussortierten ohnehin ausgehungert werden sollen?“, fragt Wompel. Es gebe noch andere Protestformen. Der Alltagswiderstand jenseits von Großdemonstrationen habe gerade begonnen.

Mit Kritik hat Grottian gerechnet. Schon in dem Aufruf wird gefragt, ob „das letztmögliche defensive Mittel ohne Steigerungsmöglichkeit“ jetzt anzuwenden sei. Die VerfasserInnen des Papiers bejahen das. Es sei an der Zeit, „existenzielle Zumutungen mit existenziellen Protestformen zu beantworten“.

Allerdings räumt Grottian ein, dass ein Hungerstreik als sozialer Widerstand in Deutschland kaum Tradition hat. Er wurde vor allem als Kampfmittel von Gefängnisinsassen bekannt. Anfang der Neunzigerjahre hatten ihn die Kalikumpel von Bischofferode vergeblich genutzt. In den letzten Jahren gab es auch schon gegen Hartz IV vereinzelte kurzfristige Hungerstreiks. Zurzeit verweigert ein Erwerbsloser in Aurich aus Protest gegen die seiner Meinung nach ungerechte Behandlung durch das Jobcenter die Nahrung.

Bei seinem Vorschlag sei es allerdings nie darum gegangen, Erwerbslose individuell hungern zu lassen, betont Grottian. Die Aktionsform bedürfe gründlicher Vorbereitung. Verschiedene Sozialverbände hätten bereits ihr Interesse an einer Beteiligung signalisiert. Deswegen werde sich der Beginn noch verzögern. Am Montag will das Plenum des Berliner Sozialforums über Sinn und Zweck des Hungerns gegen Hartz IV debattieren – mit noch vollen Mägen.

Peter Nowak