Aneignung von Körpermaterial

Das Sammeln von Blut, Gewebeproben und den dazugehörigen medizinischen Daten in Biobanken findet derzeit weitgehend in einer rechtlichen Grauzone statt. Experten fordern verbindliche Regelungen, um einen „Wildwuchs zu verhindern“

Zu bedenken ist,dass viele Biobanken auf Vorrat sammeln

VON KLAUS-PETER GÖRLITZER

Blut, Zellen und Gewebe sind für Genforscher eine wertvolle Ressource, weshalb sie verstärkt in sogenannten Biobanken gesammelt werden. Allein in den USA sollen nach Darstellung des National Bioethics Advisory Committee über 300 Millionen Proben von über 170 Millionen Menschen gelagert sein, jedes Jahr kommen geschätzte 20 Millionen neue Proben hinzu. „Für Deutschland dürfte von vergleichbaren Entwicklungen auszugehen sein“, meint die Zentrale Ethikkommission (ZEKO) bei der Bundesärztekammer.

Die entnommenen Körperstoffe können molekulargenetisch analysiert und mit persönlichen Daten der „Spender“ verknüpft werden, etwa zu Erkrankungen, Behinderungen oder Lebensstilen. Erklärtes Ziel ist es, genetische Risikofaktoren und deren Träger aufzuspüren. Außerdem sollen die von Unikliniken, Laboren und Pharmafirmen angelegten Probensammlungen bei der Entwicklung von Diagnostika und Therapien helfen.

Dabei geht es nicht nur um Gesundheit, sondern auch ums Geldverdienen: „Die Krankenhausträger“, stellte die Hamburger Datenschutzbehörde bereits 2004 fest, „sind zunehmend bemüht, ihre Gewebe-, Blut- und Datensammlungen interessierten Forschern und Arzneimittelherstellern zur entgeltlichen Nutzung anzubieten.“

Die Vermarktung von Körperstoffen schreitet voran, doch die Geschäftsgrundlagen sind mindestens fragwürdig: „Derzeit bewegen sich viele wissenschaftliche Einrichtungen und Projekte beim Aufbau ihrer Sammlungen und bei der Nutzung von Biomaterialien in einer rechtlichen Grauzone.“ So steht es in einem aktuellen Rechtsgutachten, erstellt im Auftrag der Telematikplattform für Medizinische Forschungsnetze (TMF), die über vierzig medizinische Forschungsverbünde und -organisationen repräsentiert.

Auf über 200 Seiten erläutern die Gutachter um den Lüneburger Juraprofessor Jürgen Walter Simon rechtliche Rahmenbedingungen, die laut TMF geeignet sind, „Wildwuchs zu verhindern“ und „eine langfristige Nutzung von Biobanken zu ermöglichen“.

Simon und Kollegen gehen davon aus, dass Körpermaterial nach der Entnahme automatisch Eigentum des Menschen sei, dem es entnommen wurde. Gleichzeitig wenden sich die Gutachter gegen die unter Ärzten verbreitete Ansicht, dass ein Patient, der entnommenes Gewebe kommentarlos zurücklasse, stillschweigend auf das Eigentum hieran verzichte. Eine solche Unterstellung, verbreitet etwa von der ZEKO und genutzt zum diskreten Sammeln von Körperstoffen, sei unhaltbar – schon weil den Patienten in der Regel gar nicht bewusst sei, dass Reste entnommener Proben existierten, aufbewahrt und gern auch beforscht werden. Allerdings ist der behandelnde Arzt nach Ansicht der Gutachter verpflichtet zu tun, was in der Praxis wohl eher selten passiert: Spätestens nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist müsse er dem Patienten anbieten, nicht verbrauchte Körpermaterialien abzuholen.

Die Forschung mit personenbezogenen „Altproben“, die einst im Rahmen einer Behandlung entnommen wurden, sei ohne vorherige Einwilligung des Betroffenen nicht erlaubt. Verstöße könnten Schadenersatzansprüche unfreiwilliger „Spender“ begründen; zudem dürften Patente für Erfindungen, zustande gekommen mittels rechtswidriger Nutzung von Patientenproben, nicht erteilt werden.

Kliniken oder Biobanken dürfen sich nach Meinung der Gutachter Körpermaterialien nur dann aneignen, wenn der Spender vorab zugestimmt habe. Simon und Kollegen empfehlen den Biobankern, vorsorglich in den Einwilligungserklärungen einen Passus aufzunehmen, der klarstellt, dass das Eigentum an dem Körpermaterial auf den Entnehmer übergeht. Dies möglichst per Fettdruck hervorgehoben und mit gesonderter Unterzeichnung des Spenders, damit der „später nicht den Einwand der Überraschung oder Überrumpelung erheben“ könne.

Weitere juristische Spitzfindigkeiten sind zu beachten: „Wird in der Einwilligungserklärung vereinbart, dass die Probe nur in anonymisierter Form weitergegeben werden darf, bedeutet dies faktisch eine Eigentumsaufgabe seitens des Spenders, sobald die Probe anonymisiert wird.“ Denn eine Rückgabe der Probe an den Spender sei praktisch ja nur möglich, wenn ihm diese auch eindeutig zugeordnet werden kann. Eine Anonymisierung sei aber dann unzulässig, wenn dem Spender das Recht zugestanden worden sei, jederzeit die Herausgabe oder Vernichtung seiner Probe zu verlangen.

Wer das Eigentum an einer Probe auf eine Biobank überträgt, muss sich über weit reichende Konsequenzen im Klaren sein. „Ein gesetzliches Widerrufsrecht kommt in diesem Fall regelmäßig nicht in Betracht“, schreiben die Gutachter; also sei ausgeschlossen, dass der Spender irgendwann die Herausgabe oder Vernichtung seiner Probe verlangen könne.

Zu bedenken ist, dass die Verwahrdauer nicht klar geregelt sei und viele Biobanken auf Vorrat sammeln, also zum Zeitpunkt der Spende noch gar nicht klar ist, für welche Forschungsprojekte die gelagerten Proben und Daten eigentlich verwendet werden sollen. Zudem verfügen Betreiber einer Biobank, denen Körperstoffe übereignet wurden, anschließend über das uneingeschränkte Nutzungsrecht. So dürfen sie auch anonymisierte Proben „ohne weiteres“ an Dritte verkaufen, etwa an Forschungsinstitute oder Pharmafirmen.

Die Gutachter raten Kliniken und Biobanken, die Vordrucke für Einwilligungserklärungen und Patienteninformationen gezielt an ihre Bedürfnisse anzupassen. Mit den Papieren konfrontiert werden potenzielle Spender von Körpersubstanzen. Ohne rechtlichen Beistand werden sie es allerdings schwer haben zu prüfen, ob die Entwürfe der Biobanker mit ihren eigenen Bedürfnissen konform gehen.

Eine Ahnung, worauf sich die Mitwirkenden einlassen, vermittelt das von der TMF herausgegebene Gutachten, das unter dem Titel „Biomaterialbanken – Rechtliche Rahmenbedingungen“ als Buch erschienen ist. Die Lektüre wird vermutlich den Experten vorbehalten bleiben – mögliche Probanden werden wohl kaum bereit sein, dafür 69,95 Euro zu zahlen.