jugend liest
: Das Joule’sche Gesetz und die ganz großen Fragen: anspruchsvolle Wissensbücher für Jugendliche

Gleichstrom, Wechselstrom, Drehstrom – tausendmal gehört, tausendmal nicht kapiert? Das muss nicht sein, denn nun hat Henning Boëtius die „Geschichte der Elektrizität“ geschrieben. Boëtius ist ein Doppeltalent, er hat in Germanistik und in Physik promoviert und ist sowohl Erzähler wie auch Naturwissenschaftler. Folgerichtig beschreibt er nicht nur das Zeitalter der Elektrizität, sondern befasst sich auch mit der Aufklärung, die auf Englisch ja enlightenment heißt. Wie es gleichzeitig hell wurde in den Stuben und in den Köpfen – eine ambitionierte Fragestellung.

Natürlich ist so ein Vorhaben nicht ohne Anstrengung umzusetzen, auch nicht ohne Anstrengung des Lesers. Dem traut der Autor viel zu. Mehr als 200 Seiten über Elektrometer und Influenz, Elektrostatik und galvanische Elemente, magnetoelektrische Maschinen und das Joule’sche Gesetz. Mal spannend wie ein Krimi, der davon handelt, wie der Stromkrieg zwischen den Gleich- und den Wechselstromanhängern zur Erfindung des elektrischen Stuhls führte. Mal echte Arbeit, wenn es um Formeln geht. Ein tolles Buch – aber wer kann es lesen? Jugendliche mit Haupt- oder Realschulbildung wohl eher nicht, und auch viele Gymnasiasten dürften die Segel streichen. Das spricht nicht gegen das Buch. Aber es zeigt, wie die wachsende Bildungskluft sich auch im Jugendbuchbereich spiegelt. Es gibt immer Anspruchsvolleres für gebildete und ausdauernde junge Leser. Und es gibt viele Leser, die über das Vorwort dieser Bücher nicht hinauskommen werden.

Auch der Wissenschaftsjournalist Gerhard Staguhn hat sich auf anspruchsvolle Wissensbücher spezialisiert. Er hat über „Die Rätsel des Universums“ geschrieben, und nach einer Einführung in die „großen Religionen“ versucht er nun Antworten auf vertrackte religiöse Fragen zu geben. Staguhn spürt die Zweifel seiner Leser auf und deutet sie. Das gelingt ihm dort, wo es um die wesentlichen Themen geht: Warum gibt es das Böse? Wozu soll Beten gut sein? War Jesus Gott und Mensch zugleich? Dabei ist es ähnlich wie bei Boëtius: Seine Betrachtungen setzen Grundkenntnisse über das Christentum voraus. Unmöglich, auf die Schnelle all jene Lücken zu schließen, die durch den Traditions- und Bildungsabbruch entstanden sind. Um trotzdem möglichst viele anzusprechen, setzt Staguhn auf die religiösen Gefühle. Doch das ist heikel. Schnell ist die Grenze zum religiösen Kitsch überschritten. Dabei wäre das leicht zu vermeiden gewesen, hätte Staguhn den Mut gehabt, von seinem eigenen Glauben zu reden. Doch statt eine klare Grenze zwischen Bekenntnis und Kenntnis zu ziehen, entwischt er ins Reich der Vermutungen. Jeder Mensch sei religiös, nur wisse es nicht jeder – ach wäre es doch so einfach! Schade auch, dass Staguhn von den Religionen oder „der Religion“ spricht, wo er das Christentum meint.

Manfred Geier geht in seinem neuen Philosophiebuch einen einfacheren Weg. Er lässt sich von dem achtjährigen Toni und seinen Freunden Löcher in den Bauch fragen und entwickelt die Antworten dann in einem lockeren, oft auch witzigen Gespräch, in welches er die Überlegungen bedeutender Philosophen ganz selbstverständlich einfließen lässt. Warum sind Tiere keine Menschen? Wie frei ist mein freier Wille? Aber auch: Wo ist Gott geblieben? Geier fehlt der Gestus des Endgültigen, und das entlastet sehr. So ein bisschen Leichtigkeit hätte auch Staguhns Buch gutgetan.

ANGELIKA OHLAND

Henning Boëtius: „Geschichte der Elektrizität“. Beltz & Gelberg, Weinheim, 221 Seiten, 19,90 EuroGerhard Staguhn: „Wenn Gott gut ist, warum gibt es dann das Böse in der Welt? Fragen an die Religion“. Hanser Verlag, München, 207 Seiten, 15,90 EuroManfred Geier: „Was konnte Kant, was ich nicht kann?“ Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 192 Seiten, 8,90 Euro