Ein Chauvinist mit Chancen

Kinky Friedman, 62, singt Country, schreibt Krimis und wird vielleicht der nächste Gouverneur von Texas. Wie kann das sein? Und warum wird sogar in Berlin für ihn eine „Wahlparty“ gefeiert?

VON DANIEL MÜLLER

Irgendwo tief in Kreuzberg. In dieser Ecke der Stadt fühlt man sich seltsam abgeschieden, kaum ein Mensch ist auf der Straße zu sehen. Einzig die Metrobuslinie 29 zieht mit ein paar wenigen Insassen recht einsam ihre Kreise in den unendlichen Weiten zwischen Hermannplatz und Grunewald – willkommen im Berliner Hinterland. Aus einem unverputzten Haus dringt Countrymusik – mit ein bisschen Vorstellungskraft kommt man sich vor wie in Texas. Na ja, zumindest fast. Vor der Tür einer Eckkneipe stehen Leute mit roten oder grauen T-Shirts, die das Konterfei von Richard „Kinky“ Friedman tragen. Darüber steht in schwarzen Lettern: „Why the hell not?“ – Warum zum Teufel nicht? – es ist der Wahlslogan des Mannes, der sich anschickt, als erster unabhängiger Kandidat seit Sam Houston vor 179 Jahren Gouverneur von Texas zu werden.

Es nieselt. Vor der Tüt steht Lothar, ein „Kinkianer“, wie er sich nennt, und trinkt ein Bier. Lothar ist hier, weil er Friedmans Bücher liebt, weil man in denen „immer so viele Anspielungen auf seine anderen Romane findet“. Und er ist nicht alleine. Die Kneipe in Kreuzberg ist übervoll mit Menschen, die an dieser „Wahlkampfveranstaltung“ teilnehmen wollen. DM Bob und Speedy Jake, ein Countryduo aus Hamburg, sind genauso da wie Stefan Maelck, der das Nachwort zum letzten Kinky-Buch geschrieben hat. Und Wiglaf Droste, der ein paar Kapitel von Friedman vorliest und später noch mit Danny Dziuk zusammen fünf Lieder des Ex-Countrysängers trällert.

Ausgedacht hat sich all dies Klaus Bittermann von der Edition Tiamat, der die letzten drei Kriminalromane von Friedman in Deutschland verlegt hat. Bittermann steht etwas gestresst und unruhig in der Eingangstür – kein Wunder, schließlich musste die Veranstaltung kurzfristig vom Festsaal Kreuzberg hierher verlegt werden, weil rund ums Kottbusser Tor der Strom ausgefallen war. Ein Umstand, der den Kinky-Fans natürlich viel Raum zur Spekulation bot.

Und zur Verschwörungstheorie: Vom „langen Arm der Republikaner“ war da die Rede – selbst verhältnismäßig unwirksame Veranstaltungen wie diese würden jetzt schon von den Rechtskonservativen torpediert … Wiglaf Droste wähnte gar die CIA im Spiel, „die haben ihre Nase überall“. Lothar nippt an seinem Bier und stellt eine andere Theorie vor. Er glaubt an eine Art vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem Star des Abends, schließlich setze der sich doch wie kein Zweiter für regenerative Energien ein.

Aber wer ist eigentlich der Mann, der dafür sorgt, dass sich die aufgeklärte Berliner Mittelschicht an einem Sonntagabend versammelt, um einem texanischen Politiker zu huldigen? Und einen Personenkult zu betreiben?

Die Geschichte von Kinky Friedman beginnt 1944, als er als Sohn jüdischer Einwanderer in Chicago geboren wird. Schon ein Jahr später zieht die Familie auf die Echo Hill Ranch nach Texas, etwa 90 Minuten entfernt von Austin, der Hauptstadt des größten US-Bundesstaats. Hier lebt Kinky, der seinen Spitznamen (kinky – verdreht, abnorm) während seiner Studienzeit an der University of Texas aufgrund seines Afrolooks von einem Freund erhielt, noch heute. Mit vier Katzen und einem Gürteltier – er nennt sie „The Friedmans“, sie sind seine Familie. In seinem „ersten Leben“, so pathetisch spricht Friedman gern, war er Countrymusiker. Mit seiner Westernband „Kinky Friedman and the Texas Jewboys“ reiste er in den Siebzigern im Land herum und zog sich mit satirischen und oft gesellschaftskritischen Songs wie „Proud to be an asshole from El Paso“ oder „They ain’t makin’ Jews like Jesus anymore“ insbesondere den Unmut der texanischen Hörerschaft zu. Der tiefreligiöse Musiker, der noch kürzlich auf einer Wahlkampfveranstaltung sagte: „Wenn ihr Gott nicht liebt, dann fahrt zur Hölle!“, wurde ein Star der Indie-Szene, ohne jedoch den richtig großen, sprich kommerziellen Erfolg zu haben. Nachdem seine langjährige Freundin bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, verfiel er den Drogen. Die schicksalsträchtige Begebenheit, die ihn angeblich aus dem Sumpf zog, klingt gleichermaßen skurril wie filmreif: Aus den Fängen eines Bankräubers befreite der „Kinkster“, wie ihn seine Unterstützer ehrfürchtig nennen, heldenhaft eine junge Frau.

Das war in Greenwich Village, einem der New Yorker Szeneviertel, welches seit über 20 Jahren Kinkys zweites Zuhause ist. Und der Spielplatz seiner zweiten Karriere als Autor teils absurder, immer hochkomischer Kriminalromane. In denen gibt er als „Kinky Friedman“ den Zigarre rauchenden, Sprüche klopfenden, abgehalfterten Ex-Countrysänger und Hobbydetektiven, der von Zeit zu Zeit mal einen Fall löst. Insgesamt 17 dieser weitestgehend autobiografischen Novellen hat der Kinkster nun schon veröffentlicht, allein sein Erstling „Greenwich Killing Time“ verkaufte sich mehr als 100.000-mal. In den USA sind die Bücher inzwischen reiner Kult – wie ihr Urheber auch.

Und der will heute bei den Kongresswahlen in den USA Gouverneur von Texas werden. In einem Staat, der nicht gerade als Herd innovativer und zukunftsgerichteter Politik bekannt ist. Und in dem es massiv an politischer Aufklärung mangelt. Nur etwa 30 Prozent der Texaner gingen bei der letzten Kongresswahl vor vier Jahren den Weg zur Urne. Das ist ein so erschreckend niedriger Wert, dass man sich fragen muss, ob die restlichen 70 Prozent keine Lust zum Wählen hatten oder ihnen der Umstand an sich vielleicht gar nicht bekannt war. Oder, wie Wiglaf Droste anmerkt, der mit einem geleerten Glas Wein vor der Eingangstür auf seinen Auftritt wartet, das Hindernis dann doch zu groß war, „dass man die Wahl nicht mit der Schusswaffe erledigen kann“.

Und hier setzt Kinky mit seiner Kampagne an: Er will informieren, aufklären, unterhalten und sich nicht zuletzt selbst inszenieren – und das macht er sehr geschickt.

Es ist eine schwierig zu durchschauende Mischung aus rechtem Populismus und linker Utopie, mit der er auftritt. Auf der einen Seite fordert er am Südende von Texas einen Zaun, um den Staat von Mexiko abzuschotten. Und eine Phalanx von fünf mexikanischen Generälen, denen eine Million Dollar überwiesen wird. Für jeden Mexikaner, der sich unerlaubt über die Grenze schlägt, würden den Militärs 5.000 Dollar abgezogen. „Wie viele Einwanderer“, fragt Friedman herausfordernd, „kommen dann wohl noch durch?“

Auf der anderen Seite will er seinen Freund und Musikerkollegen Willie Nelson als Energieberater ins Regierungsteam holen, um die Umstellung auf Biodiesel voranzutreiben. Und er will den Tierschutz verbessern. Man könnte Friedman vorwerfen, er würde es mit diesen konkurrierenden politischen Vorstellungen von tief rechts bis vorne links allen recht machen wollen und dabei seine eigene Linie vergessen. Aber vielleicht ist genau das seine Linie. Und deswegen kann man es ihm auch positiv auslegen. Als unabhängiger Kandidat muss er sich nicht an Parteibücher klammern und kann so die Konventionen durchbrechen. Und als Eklektiker der politischen Programme fungieren, der den Bürgern Texas’ gibt, was sie verlangen: Sicherheit. Kinkys Wahlkampfmaxime lautet: „My only special interest group is the people of Texas.“ So was kommt an, weil es so schön einfach ist. Kinky will das Übel an der Wurzel packen und den Texanern geben, woran es ihnen am meisten mangelt, nämlich Bildung. USA-weit hat Texas das niedrigste Bildungsniveau. Friedman hat auch hier einen unkonventionellen Lösungsansatz: Er will das Glücksspiel wie in Las Vegas legalisieren, um mit den Gewinnen die Schulen zu finanzieren und sie mit besseren Lehrmaterialien auszurüsten.

Wurde er noch vor einem Jahr aus allen Ecken als chancenlose Witzfigur verunglimpft, so liegt er in einigen jüngeren Umfragen gar vor dem farblosen republikanischen Amtsinhaber, der ähnlich blass agiert wie sein demokratischer Herausforderer, für den Tausendsassa Friedman mit seinen oftmals polemischen Phrasen – „Ich habe keine Waffe und reite nur Zweibeiner“ – natürlich eine reichlich gute Ausgangsposition.

Der Personenkult um Friedman nimmt in den letzten Wochen abstruse Züge an. Autogrammjäger belagern die Veranstaltungen, auf den Kinky spricht, auf der Website kann man für gut 30 Dollar eine sprechende Kinky-Puppe ersteigern. Selten war ein Politiker zeitgleich so sehr Popstar.

Wiglaf Droste will jetzt in die Kneipe, um zu lesen. Vorher jedoch verrät er noch, warum er Kinky Friedmans Kampagne für intelligent hält: „Ihm ist das gelungen, was ihn in seinen Songs und Büchern ausmacht, nämlich seine Persönlichkeit nicht zu verheucheln, sondern sie 1:1 zu übertragen.“ Hinter Droste gehen die übrigen Gäste in die Bar, um der Lesung beizuwohnen. Nur Lothar und seine Begleitung bleiben noch draußen stehen – sie unterhalten sich gerade über Bier. Der Laden ist pickepacke voll und man kommt nicht umhin, sich die Absurdität der Veranstaltung vor Augen zu führen. Hier findet eine Wahlkampfveranstaltung für jemanden statt, der davon nichts weiß. Die zu kaufenden T-Shirts sind aus dem Hause Tiamat, weil der Import der Original-Shirts aus den USA nicht funktioniert hat. Und echte Texaner sind auf den ersten Blick auch nicht zu erkennen. Warum also diese Faszination? Ohne die politischen Führungsqualitäten der Bundesregierung zu kommentieren, so kann man doch sagen, dass es ihr an aussagekräftigen Typen fehlt. In den USA hat die Politik durch Ronald Reagan, Arnold Schwarzenegger oder den Ex-Catcher Jesse Ventura schon länger sowas wie Showcharakter. Ob das eine wünschenswerte Sache ist, sei mal dahingestellt. Aber augenscheinlich besteht hierzulande eine sonderbare Sehnsucht nach Politik als Happening – vielleicht ist Kinky Friedman nun so etwas wie ein personifizierter Sehnsuchtsort. Vielleicht ist diese Theorie aber auch völlig hinfällig und Friedman einfach nur Fan-Objekt. Und das Ganze hat mit Politik überhaupt nichts zu tun.

Die Aufmerksamkeit, die Kinky Friedman hierzulande bekommt, ist nichtsdestotrotz beachtlich. Und da ist es fast schade, dass er von seiner Solidaritätsbasis in Kreuzberg nichts mitbekommt. Wobei, da ist Wiglaf Droste sich sicher, „so wie dieser Mann ist, fühlt er das“.