theorie und technik
: Glaube versetzt Linke

Die New Atheists kämpfen gegen Gott und Fundamentalismus, dabei ist Religion in der linken Kulturtheorie längst salonfähig

Heute möchte ich mir einen nervigen Typen vornehmen: Gott. In Europa war unlängst ernsthaft debattiert worden, ihn in den Verfassungsrang zu erheben, und in den USA glauben 53 Prozent der Bürger ernsthaft, dass die Welt vor 6.000 Jahren vom Schöpfer geschaffen wurde; beim Kampf der Kulturen hat der Kerl auch seine Finger im Spiel.

In den USA macht darum jetzt eine Bewegung von sich reden, die Gott das Handwerk legen will – die Bewegung der New Atheists. Die ist zwar nicht groß, aber Richard Dawkins ist ihr Prophet – immerhin eine Naturwissenschafts-Celebrity. Mit seinem Buch „The God Delusion“ will er beweisen, dass das Monstrum Gott gar nicht existiert. Er findet es nicht nur blöde, an Gott zu glauben, er findet es auch blöde, zu tolerieren, dass andere Leute an Gott glauben. Dass Eltern ihre Kinder religiös erziehen, hält Dawkins für Kindesmisshandlung. Und naiv sei es, den Fundamentalismus zu verdammen, den moderaten Gläubigen aber mit Gutmütigkeit zu begegnen, ist der moderate Glaube doch das Biotop, in dem der Fundamentalist prächtig gedeiht.

Dafür setzte es, wie nicht anders zu erwarten, wüste Angriffe. Was manche weniger erwarten würde – einige der Angreifer sind führende linke Theoretiker. „Stellt man sich vor, jemand würde über Biologie dozieren, der sein Wissen über das Thema ausschließlich aus dem ‚Handbuch der britischen Vögel‘ hat, dann hat man eine ziemlich präzise Idee davon, wie es ist, Richard Dawkins über Theologie zu lesen“, ätzt etwa Terry Eagleton, einer der, nun ja, Päpste der linken Cultural-Studies-Szene. In einem taz-Interview hatte Eagleton unlängst zudem eine Art Wendung zur Religion annonciert, schließlich sei das Christentum von Anfang an „die Religion der Armen und Exilierten“ gewesen. Mit dieser wieder entdeckten religiösen Musikalität wisse er sich, so Eagleton, mit Leuten wie Slavoj Žižek, Giorgio Agamben oder Alain Badiou einig.

Damit versimpelt Eagleton die Sache zwar ein wenig, aber ganz falsch ist das nicht. Ein Strang der poststrukturalistischen linken Theorie ist nämlich für das Religiöse seit je empfänglich – der, der Ideologie nicht einfach als „falsches Bewusstsein“ kritisiert, sondern als Modus der Weltaneignung ernst nimmt, der, kurzum, Ideologiekritik durch Ideologietheorie ersetzt hat. Grob gesprochen ist das jene Schule linken Denkens, die in jener vor allem französischen Tradition wurzelt, die die Aufklärung selbst als unaufgeklärt kritisiert. Für diese Schule ist der Rationalismus selbst eine Art von Glaube, Vernunft-Glaube, bloß ein besonders dummer: Glaube, der seine eigene Gläubigkeit nicht wahrnimmt, Ideologie, die sich triumphalistisch als erhaben über die Ideologie feiert.

Nun ist es natürlich nicht so, dass Eagleton, wenn er sonntags in die Kirche geht, dort Leute wie Žižek, Badiou oder Agamben trifft. Die versuchen, religiöse Energien anzuzapfen, ohne gleich pfäffisch auf eine Theologie der Befreiung zu hoffen. Žižek interessiert das Passionierte, das Leidenschaftliche des Religiösen, ohne das auch das Politische nicht auskommt – sonst verklumpt es zu bloßem Technokratismus. Badiou wiederum ist fasziniert davon, wie das frühe Christentum den ethnischen Kommunitarismus überwand und mit Paulus den Universalismus in die Welt brachte. Für Badiou ist Paulus so etwas wie ein früher Lenin – was er durchaus bewundernd meint.

Irgendwie sind Dawkins und die New Atheists auf der einen, die Eagletons, Žižeks, Badious auf der anderen Seite jeweils der blinde Fleck ihres Gegenübers. Gewiss, auch das hohe Lied von der rationalen Vernunft ist nur eine Art von Gebet, und ohne Glaubensdimension ist menschliche Gesellschaft nicht vorstellbar – da haben die Post-Poststrukturalisten ganz recht. Auch ihr Einwand, positivistische Religionskritik kranke notwendigerweise daran, dass sie von Leuten vorgetragen wird, die das von ihnen Kritisierte als völlig abwegig und unverständlich ansehen – und damit schlussendlich gar nicht verstehen wollen –, ist nicht von der Hand zu weisen.

Aber das kann noch kein Grund sein, den groteskesten Irrationalitäten eine Wahrheit zuzubilligen. Damit geht auch eine gefährliche Schwächung des Säkularismus einher. Selbstkritik der Aufklärung muss nicht schaden, kann es aber, wenn damit religiöse Instanzen wieder eine Legitimationszufuhr erfahren. Man muss, kurzum, davor warnen, aus Höflichkeit oder Feigheit vor Leuten zu kapitulieren, die Darwin aus den Lehrplänen streichen wollen, ernsthaft an Jungfrauengeburt und Dreifaltigkeit glauben oder die wirklich meinen, irgendein Allmächtiger habe einem zotteligen Wüstenkrieger des 6. Jahrhunderts aufgetragen, ein Weltreich zu errichten und Ungläubige zu köpfen. Für solche Leute gibt es heutzutage gute Ärzte. ROBERT MISIK