Der Spätzünder

„Ich schreibe, seit ich denken kann – also seit ich 35 bin“: Jörg Juretzka erhält diesjährigen Literaturpreis Ruhrgebiet

Wenn man sich einen Dichter wie Günter Grass vorstellt, also grimmig mit Pfeife im Schnauz, dann schaut dieser hier nicht wie ein Dichter aus. Eher wie einer, der Handwerker ist oder in einer Vorabendserie mit Wumme Einbrecher stellt. Zu Glatze und grauen Schläfen trägt Jörg Juretzka Jeans, unten leicht ausgefranzt, einen Pullover und einen Ohrring. Zumindest gestern, als in Essen bekannt gegeben wird, dass Juretzka den diesjährigen Literaturpreis Ruhrgebiet erhält, für die exzellenten Krimis, die der 51-Jährige seit 16 Jahren schreibt. Oder wie Juretzka es sagt: „Ich schreibe, seit ich denken kann – also seit meinem 35. Lebensjahr.“

Bevor bei Juretzka das Denken einsetzt, arbeitet er körperlich: auf dem Bau zum Beispiel, angeblich auch als Blockhausbauer in Kanada. Im Jahre 1999 dann erscheint „Prickel“, sein Debütroman. Hauptfigur ist Kristof Kryszinski, eine schäbige Milieufigur, Ex-Knacki, Ex-Junkie und natürlich: Privatdetektiv. In sieben Romanen ist Kryszinski bisweilen aufgetreten, mal spielt die Story im Ruhrgebiet, mal auf einem Luxuskreuzer oder im Wilden Westen. Jeder Roman sei „innovativ“, lobt die Jury, die Juretzka vor allem seines „drastischen, derben Tons“ wegen ausgewählt hat. Und weil es nicht einfach nur Krimis sind, die Juretzka da vorlegt – sondern Gesellschaftsromane, die gewissermaßen in ein Krimi-Kleid schlüpfen. Was der Autor nickend bestätigt.

Den Preis zu bekommen, bedeute einen Motivationsschub, sagt Juretzka, der in Mülheim an der Ruhr lebt und im kommenden Jahr nicht nur einen neuen Krimi vorlegt, sondern auch sein erstes Kinderbuch mit dem Titel: „Der Sommer der fliegenden Zuchinis“. Mit 10.000 Euro ist der vom Regionalverband Ruhrgebiet ausgelobte Hauptpreis dotiert – er bringt also neben medialer Aufmerksamkeit auch, gemessen am doch eher dürftigen Verdienst eines Schriftstellers, etwas Reichtum. Und in Zukunft vielleicht noch mehr: So wird überlegt, anlässlich des Titels Kulturhauptstadt Europas 2010 die Preisträger als „Botschafter des Ruhrgebiets“ auszusenden, auf Lesereise. Bevor es so weit ist, wird Juretzka aber erst mal am 17. November der Preis überreicht – wie auch den Förderpreisträgern Marion Wedegärtner und Christian Westheide. Bei der Verleihung im Festsaal des Alten Rathauses in Haltern am See liest Juretzka dann aus seinem noch unveröffentlichten Roman „Bis zum Hals“. Den er schrieb, als er schon lange denken konnte.

BORIS R. ROSENKRANZ