Kein Platz für „Gay Pride“ in Jerusalem

Israelische Homosexuelle verzichten nach heftiger Kontroverse auf ihre Parade. Die Polizei sieht sich überfordert

JERUSALEM taz ■ In Jerusalem herrscht höchste Alarmstufe. Die gesamte Polizei ist im Einsatz, denn es drohen „Unruhen im ganzen Land“, wie die israelische Tageszeitung Ma’ariw auf ihrer Frontseite warnt, unterlegt mit einem Bild lodernder Flammen. All das, weil die Hamas die Waffenruhe aufkündigte? Falsch. Heute wollten Israels Schwule und Lesben ihre jährliche „Parade des Stolzes“ feiern.

Grund genug für die Ultraorthodoxen, diesmal unterstützt von ihren muslimischen Glaubensbrüdern in Jerusalem, die „pornografische Zeremonie des Gräuels“ in der Heiligen Stadt verhindern zu wollen. Auf Drängen der Polizei, die um Menschenleben fürchtete, verzichteten die Organisatoren des „Offenen Hauses“ in Jerusalem auf die Parade und stimmten einer kleineren Veranstaltung hinter den verschlossenen Toren des Uni-Stadions zu.

Brennende Autos und Mülltonnen, ausgerissene Ampeln, Steine und Molotow-Cocktails, die schon im Vorfeld der Veranstaltung auf Polizisten flogen und sogar auf den selbst der frommen Gemeinde angehörenden Bürgermeister Jerusalems, Uri Lupolianski, zeigen, wie ernst es den Frommen mit ihrem Protest ist. „Wir werden bis zu euch (den Homosexuellen) nach Hause kommen“, drohten Demonstranten. Die aufgebrachten Menschen vor allem in dem ultraorthodoxen Wohnviertel Mea Schearim wurden dabei zusätzlich angeheizt von ihren Rabbinern und sogar Politikern.

Für den Parlamentsabgeordneten Nissim Seew (Judentum der Thora) sind Homosexuelle „krank“ und „unrein“ und gehörten dringend unter psychologische Aufsicht. In einer Talkshow forderte er zu diesem Zweck gar „die Errichtung von Lagern“. Der Chef der orthodox-orientalischen Schas-Partei zog vor den Obersten Gerichtshof, um die Veranstaltung zu unterbinden. In Mea Schearim blieben die Läden gestern sogar bis Mitternacht geöffnet, damit die Leute schon am Donnerstag ihre Wochenendeinkäufe erledigen konnten, um bei den Protesten gegen die Schwulen und Lesben dabei sein zu können.

Was letztendlich zu einem Umdenken bei den Organisatoren führte, war der versehentliche Beschuss eines palästinensischen Familienhauses im nördlichen Gaza-Streifen, bei dem am Mittwoch 18 Menschen ums Leben gekommen sind. Die Hamas kündigte daraufhin die Waffenruhe auf und drohte mit Vergeltungsschlägen. Die Polizei, die mit einem Aufgebot von 12.000 Beamten die Homosexuellenparade schützen sollte, sah sich dem Einsatz an zwei Fronten nicht gewachsen.

Schaul Ganon, Generalsekretär des Verbandes für Homo-, Bi- und Transsexuelle in Tel Aviv, bedauerte den Verzicht auf die Parade, der einer „Kapitulation“ gleichkäme. „Es ist, als müssten wir uns verstecken“, schimpfte er über den Kompromiss des „Offenen Hauses“. Die Parade war auf „nur 540 Meter im Regierungsviertel geplant, wo niemand wohnt“. Eine geschlossene Veranstaltung mache die Aktion, die darauf ausgerichtet sei, „vor allem jungen Homosexuellen zu demonstrieren, dass sie nicht allein auf der Welt sind“, nun nahezu überflüssig.

In Jerusalem, so glaubt Ganon, ginge es längst nicht mehr nur um die Rechte der Homosexuellen. „Was hier passiert, ist eine Konfrontation der Kulturen, der Kampf der Orthodoxen gegen die Demokratie.“ Es solle keiner glauben, dass die Religiösen sich mit einem „schwulenfreien Jerusalem“ zufriedengeben würden. „Hier geht es um grundsätzliche Bürgerrechte und Meinungsfreiheit.“ Eine heterosexuelle „Love-Parade“ hätte dieselben Reaktionen ausgelöst, so Ganon, der zugibt, bei der Kampagne versäumt zu haben, heterosexuelle Liberale anzusprechen.

SUSANNE KNAUL