Das Geheimnis um die verwundeten Muslime

Ein saudi-arabischer Wohltätigkeitsverein plant, in Nauen eine Wohnsiedlung für kriegsverletzte Muslime zu errichten. Bürger und Kommunalpolitiker laufen Sturm: Verwundete Terroristen, Koranschule und Moschee will in der Havelstadt niemand haben. Oder kommen doch nur Kinder aus Bosnien?

„Die Nauener müssen begreifen, dass sie nicht allein auf dem Planeten leben“

Von KONRAD LITSCHKO

Das kleine brandenburgische Nauen hat ein backsteinernes Rathaus, die spätgotische Sankt-Jacobi-Kirche, Gründerzeithäuser neben Fachwerkbauten – und wenn es nach der arabischen Yavuz-Sultan-Selim-Gemeinschaft geht, bald auch eine Wohnsiedlung für kriegsverletzte Muslime. Auf einer Brache mit ungenutzten Lagerhallen will die Gemeinschaft aus Saudi-Arabien in Kooperation mit der Nauener Havellandklinik eine Reha-Siedlung für 150 bis 200 islamische Patienten errichten. Doch die 10.000-Einwohner-Stadt westlich Berlins läuft Sturm – eine muslimische Vereinigung oder gar verwundete Terroristen will hier niemand haben.

Es ist eine Geschichte gegenseitiger Animositäten. Und es ist keine Geschichte guter Kommunikation. Sie nahm ihren Anfang, als Gary Koch, Nauener Gebäudesanierer und Immobilienbesitzer, die in seinem Besitz befindliche Brache arabischen und pakistanischen Diplomaten vorstellte. Für deren Botschaften in Berlin hatte Koch bereits des Öfteren Arbeiten ausgeführt. Die Diplomaten waren angetan.

Vor gut zwei Wochen dann der Deal: Koch unterzeichnete mit der Yavuz-Sultan-Selim-Gemeinschaft einen Vorverkaufsvertrag für das Gelände – für einen Preis, der in seiner Höhe „von Deutschen so nicht gezahlt wird“, frohlockte Koch. Auch die Saudis waren zufrieden: Ein Areal im Stadtzentrum, dazu die Hauptstadtnähe – bestens geeignet für den Bau ihrer Reha-Klinik für Kriegsversehrte, samt Gebetsräumen und islamischem Kulturzentrum. Ein Novum in Deutschland.

Die Nauener Bürger hingegen waren aufgeschreckt. In einer Stadtverordnetenversammlung redeten sie sich in Rage mit Altbekanntem: Man wolle doch nicht die sonntäglichen Kirchenglocken durch Muezzin-Gesänge ersetzen, man hole sich nur unnötig „Gefahrenpotenzial“ in die Stadt. Bürgermeister Detlef Fleischmann hörte zu und nickte. „Ich kann die Unruhe der Bürger bei dieser ganzen Geheimniskrämerei verstehen“, so der SPD-Mann. Keinen einzigen Bauantrag oder anderweitige Absichtserklärungen habe die Stadt bisher bekommen. Auch die Havellandklinik, mit der die Muslime zusammenarbeiten wollen, wüsste von nichts.

Auch warum gerade Nauen als Standort der Muslime ausgewählt wurde, bleibt dem Bürgermeister schleierhaft. Eine islamische Gemeinde in der Stadt kann Fleischmann „nicht im Ansatz“ erkennen. „Eines ist klar: Eine abgeschirmte Siedlung mitten im Stadtgebiet kann nicht in unserem Interesse sein“, bekräftigt das Oberhaupt. „Ganz egal, wer die bauen würde.“ Was Fleischmann besonders wurmt: Warum rücken Koch und die Selim-Gemeinschaft nicht mit ihren Plänen raus? Die vergangene Woche habe er sich fast ausschließlich mit diesem Thema beschäftigen müssen, hatte auch selbst im Internet recherchiert – ohne Erfolg. Koch winkt da nur entnervt ab. Die Idee sei schlicht noch nicht spruchreif. „Ich weiß nicht, was das soll. Das Projekt bringt Arbeitsplätze und würde die städtische Havellandklinik besser auslasten. Man bekommt den Eindruck, dass fremdländischen Menschen hier nicht so aufgeschlossen begegnet wird.“

Ein Eindruck, den auch die Nauener PDS-Fraktionschefin Susanne Schwanke-Lück nicht ganz von der Hand weisen kann: „Manch einer hier scheint immer noch so eine Angst vor dem Fremden zu haben und eine Angst, in seiner Ruhe gestört zu werden.“ Dennoch habe auch sie „Bauchschmerzen“ ob der ganzen Heimlichtuerei. Die hauptberufliche Lehrerin fürchtet zudem eine Mobilisierung von Rechtsextremen, die gegen eine Ansiedlung von Muslimen Krawall schlagen könnten.

Die Querelen um den Bauplan haben sich inzwischen auch bis nach Saudi-Arabien zur Selim-Gemeinschaft herumgesprochen. Ihr offizieller Vertreter, der Pakistaner Mohammed-Arif Banori, erklärte, dass der Vorsitzende der Gemeinschaft bereits verstimmt sei. Ein Besuch in der kommenden Woche sei erst mal verschoben, sagt der in London ansässige Banori. „Die Nauener müssen lernen, dass sie nicht allein auf diesem Planeten leben.“ Niemand müsse in Nauen Angst haben: In der Siedlung sollen hauptsächlich muslimische Kinder behandelt werden, „ob aus Bosnien oder Afrika“. Dabei war ursprünglich von Kriegsversehrten aus dem Irak und Afghanistan, einer Koranschule und einer Moschee die Rede. Es ginge jedoch nur um kurzfristige medizinische Versorgung, danach würden die Patienten wieder in ihre Heimatländer reisen. Lediglich ein Betraum sei vorgesehen. Und die Selim-Gemeinschaft sei nicht mal eine religiöse Vereinigung, sondern ein Good-Will-Projekt reicher saudischer Industrieller mit pazifistischer Prägung – und marginaler Mitgliederzahl: Nicht mehr als 15 Förderer stünden hinter dem Verein, so Banori. Eine Einschätzung, die auch Gary Koch teilt: „Das ist mehr so ein arabischer Lions Club, der im Stillen arbeitet.“

Doch warum nicht genau das der Nauener Bevölkerung erzählen? Wird man ja, bekräftigt Banori, doch erst, wenn die Planungen weiter fortgeschritten sind. Zudem sei sein Vorsitzender äußerst vorsichtig, nachdem er von dem mutmaßlichen Totschlagsversuch an dem dunkelhäutigen Ermyas M. in Potsdam gelesen habe. Darum wolle der Präsident auch seinen Namen noch nicht preisgeben. Nur so viel: Er sei sehr wohlhabend und Kapitaleigner an deutschen Firmen. Momentan befinde er sich mit seiner Gemeinschaft in der Gründung einer hiesigen Stiftung, um die endgültige Unterzeichnung des Vertrags abzusichern.

Die Nauener Stadtverordneten bleiben skeptisch. Auf Vorschlag von Matthias Kaese, Fraktionsvorsitzender der CDU, haben die Abgeordneten die Stadtverwaltung und Polizei beauftragt, über Gary Koch, die Selim- Gemeinschaft und die Grundstücksbesitzverhältnisse Informationen einholen zu lassen. „Eine abgeschottete Siedlung, gar noch mit einer fundamentalistischen Koranschule, wäre nicht zu dulden“, so CDU-Mann Kaese.

Koch beklagt derweil einen Auflauf von Polizisten und Staatsschützern in seiner Geschäftsstelle. „Da wurde ich sogar über al-Qaida befragt, das ist ein absoluter Witz“, schimpft der Unternehmer. „Die Stadt muss endlich begreifen, dass sie nicht mehr im Sozialismus lebt, sondern im weltweiten Handel.“

Die Geschichte um die Nauener und die Muslime scheint dabei noch längst kein Ende zu finden: Käme es zu einer Abstimmung über den Bauplan in der Stadtverordnetenversammlung, hätte das Projekt schlechte Karten, heißt es fast einhellig aus den Reihen der Kommunalparlamentarier. Doch auch Mohammed-Arif Banori gibt nicht klein bei: „Das Geld für das Projekt ist längst nach Deutschland transferiert. Und wir sind nicht die Sorte von Leuten, die schnell aufgibt.“