Der Pessimismus als Kunstform

Das Licht am Ende des Tunnels kann auch ein Zug sein: Die Schweizer Band Aeronauten ist auf Tour

Will man Schaffhausen, am nördlichen Rand der Schweiz gelegen, verlassen und ins Innere des Landes reisen, muss man erst einmal unter einem Berg hindurch. Der Cholfirst-Tunnel ist 1.260 Meter lang und gilt als unfallträchtige Gefahrenstelle. Oliver Maurmann, Vorsänger der Aeronauten, jener lang gedienten einzigen Rockband von Rang aus Schaffhausen, weiß Bescheid und singt: „Da ist immer ein Tunnel am Ende des Lichts.“

Nein, auch auf „Hier: Die Aeronauten“, dem neuen und sechsten Album seiner Band, hat sich Maurmann, der sich lieber nur Olifr nennt, nicht zum Optimisten entwickelt. Nein, Fröhlichkeit geht anders. In „No Smiling Day“ gefällt es ihm, anhand der aktuellen Nachrichtenlage den erbärmlichen Zustand der Welt penibel aufzulisten, und in „Mein bester Feind“ singt er die durchaus programmatisch zu verstehenden Zeilen: „Ich tue allen leid, alles fällt mir schwer.“ Tatsächlich alles, womöglich ja sogar seine liebste Beschäftigung: schwermütig auf die Menschheit zu blicken. Jeweils einen Song hat er jedem Geschlecht gewidmet und festgestellt: „Männer“ taugen nur zum Taschenbillard und „Frauen“ wollen immer „über alles reden“. Noch auf der Abschussliste: die Literaten, denn die sind nicht wirklich zu was nütze, also schickt er sie, weil sich’s so hübsch reimt, ausgerechnet in die Karpaten und verdonnert sie dort zum „Holzfällen“.

Mauermann erhebt den Pessimismus zur Kunstform. Allerdings – und zum Glück – kontrastiert die liebevoll konstruierte miese Laune traditionell schon immer stark mit dem flockigen, von euphorischen Bläsern unterstützten Vorwärtsbeat der Aeronauten. Das Sextett hat vom Ska ebenso gelernt wie von Country, von Ennio Morricone so viel wie von Chuck Berry. So gerät selbst eine wehleidige Zustandsbeschreibung links-alternativer Befindlichkeiten mit einem schnodderigen Refrain wie „Hey Ozonloch / Geh wieder zu“ zur Aufforderung zum Tanz. Dass die Schweizer diesen Elan nach zwischenzeitlicher Auflösung ausgerechnet jetzt, fünf lange Jahre nach ihrem letzten, vergleichsweise mau geratenen Album wieder gefunden haben, ist ein großes Glück. Aber andererseits vielleicht gar nicht mal so verwunderlich, denn schließlich erreicht der mittlerweile 38-jährige Maurmann erst jetzt langsam biologisch das Alter für die Midlifecrisis, die er schon seit jungen Jahren in seinen Texten auslebt.

Bereits vor einem Jahrzehnt schrieb der begnadete Nörgler mit „Countrymusik“ eine klarsichtige Beschreibung seiner Generation, die sich unter Schmerzen von ihrer Jugend und der rebellischen Pose verabschiedet. Nun folgt mit „Punks nicht tot“ das Sequel: Man ist älter geworden, die Werbeagentur ist längst pleite, man hält sich mit „Webseiten designen“ über Wasser, „schuftet wie ein Gaul, um den Schinken nach Hause zu schieben“, und hat sich vernünftigerweise einem gesünderen Lebensstil verschrieben: „Kein Killergras mehr vom Balkon“.

Aber: Hilft das was? Nicht wirklich. Seltsamerweise wirken Maurmanns Kritteleien niemals wirklich zynisch. Ja, man fühlt sich mitunter ertappt, wenn man es sich selber so bequem eingerichtet hat im Verrat an den alten Idealen. Aber man kann, neben der Verzweiflung in Maurmanns kratziger Stimme, auch in den epischen Bläsersätzen der Aeronauten die Sehnsucht nach einer besseren Welt spüren. „Gib dem Bösen einen Namen“, singt der alte Meckeronkel Maurmann dann doch noch tröstlich, „vielleicht geht es dann weg.“ So gesehen sorgen die Aeronauten womöglich dafür, dass das Leben wieder leichter wird. Und schließlich wartet am Ende jedes Tunnels, auch wenn er 1.260 Meter lang ist, dann doch noch das Licht. THOMAS WINKLER

Aeronauten: „Hier: Die Aeronauten“ (L’age d’or/ SPV). Tour: 11. 11. Hannover, 12. 11. Dortmund, 13. 11. Jena, 14. 11. Leipzig, 15. 11. Berlin, 16. 11.Frankfurt, 17. 11. Bremen, 18. 11. Darmstadt, 19. 11. Ludwigsburg