Die ganz kreative Klasse

Holm Friebe und Sascha Lobo machen sich mit dem Laptop in der Hand auf die Suche nach einem intelligenten Leben jenseits der Festanstellung. Herausgekommen ist dabei „Wir nennen es Arbeit“

Holm Friebe und Sascha Lobo haben es selbst ausprobiert. Sie haben in Trendbüros und Werbeagenturen gearbeitet und dabei verheerende „Einblicke in die Unternehmens- und Arbeitswelt“ und in das „System Festanstellung“ bekommen.

Unter dem Deckmantel der „Professionalisierung“ setze ein „schleichender Prozess der strukturellen Verblödung“ ein, erklären die Autoren, die sich nach dem Zusammenbruch der New Economy geschworen haben, ihr Leben nicht weiter Karrierestrategien und der Aussicht auf ein 13. Monatsgehalt unterzuordnen. Sie beschlossen, ihr Geld mit Zeitungskolumnen, Werbetexten und anderen flüchtigen Produkten zu verdienen und so ihr mittlerweile äußerst erfolgreiches Blog „Riesenmaschine“ und andere technologisch avancierte Projekte querzufinanzieren.

„Wir nennen es Arbeit“, fassen Friebe und Lobo diesen Entwurf eines „intelligenten Lebens jenseits der Festanstellung“ im Titel ihres Buches lässig zusammen. Es geht ihnen dabei allerdings um mehr als nur um die Verteidigung der eigenen Position. „Immer mehr Menschen leben so wie wir“, stellen die beiden Berliner Autoren fest und erheben den Anspruch, unter dem Oberbegriff der „digitalen Bohème“ ihre Erfahrungen mit einem selbstbestimmten Arbeitsleben unter den Bedingungen des Internetzeitalters auf einen größeren Rahmen zu übertragen: „Die digitale Bohème verändert die Arbeitswelt.“

Vom subjektiven Wohlbefinden als Hightech-Freiberufler in Berlin-Mitte zum gesamtgesellschaftlichen Entwurf ist es rein argumentativ ein weiter Weg. Friebe und Lobo – Jahrgang 1972 und 1975 – ackern sich darum zunächst einmal durch einen ganzen Stapel von thematisch verwandten Veröffentlichungen. Von Jeremy Rifkins These vom „Ende der Arbeit“ über David Brooks „Bobos“ und den „Lebensstil der neuen Elite“ bis hin zur „Generation Praktikum“ fallen so ziemlich alle Stichworte, die in den letzten Jahren die Diskussion über die postindustrielle Gesellschaft und ihre Zukunft geprägt haben.

Interessant wird es erst, wenn sich beiden zitierfreudigen Autoren den Überlegungen des amerikanischen Politikwissenschaftlers Richard Florida zuwenden, der in seinem bisher nicht ins Deutsche übersetzten Bestseller „The Rise of the Creative Class“ Künstler und kreative Selbstständige zum Standortfaktor erklärt.

Freiheit müsse also nicht zwangsläufig arm machen, folgern Friebe und Lobo und räumen den Photoshop-Fricklern, Freelance-Designern und Freizeit-Bloggern der digitalen Bohème im Anschluss an Floridas Überlegungen eine reelle wirtschaftliche Chance in naher Zukunft ein. Es sei durchaus möglich, „nicht zu verhungern, während man das tut, was man liebsten tut“.

Ausführlich widmen Friebe und Lobo sich darum der „Mikroökonomie“ des Internets. Sie beschreiben die Partnerprogramme von Amazon oder Google, die über die gezielte Platzierung von Links kleinere Gewinne auch für die Benutzer und Kunden versprechen, sie beschwören eine „Renaissance des Manufakturwesens“ durch die wachsende Zahl von hochspezialisierten Internetshops zum Beispiel im Modebereich, und sie kommen auf das Phänomen der sozialen Netzwerke zu sprechen, in denen sich die Währung „Aufmerksamkeit“ in bare Münze verwandeln kann.

Dass die britische Band Arctic Monkeys es mit ein paar geschickt platzierten MP3s aus dem Netz in die Charts geschafft hat, ist inzwischen allgemein bekannt, aber auch der ein oder andere kostenpflichtige Podcast erwirtschaftet kleine Gewinne. Darüber hinaus entstehen in Online-Rollenspielen wie „Second Life“ virtuelle Geldwirtschaften, wie die beiden Autoren am Beispiel einer Berliner Grafikerin zeigen, die Modekollektionen für die digitalen Alter Egos ihrer Mitspieler entwirft – und so zumindest zum Teil den Unterhalt ihres „wirklichen“ Leben finanziert.

Die Analyse des Internets als Low-Budget-Wirtschaftsraum ist der spannendste Teil des Buchs, das sich ansonsten oft nicht so recht zwischen Start-up-Ratgeber, populärwissenschaftlicher Gesellschaftsanalyse und gutgelauntem Laptop-Manifest entscheiden kann. Insbesondere die politischen und sozialen Implikationen der digitalen Arbeits- und Lebenswelt kommen doch etwas zu kurz. Wenn Lobo und Friebe behaupten, dass die derzeit eher erschreckenden Einkommensverhältnisse in der Generation Laptop „durch ein hohes Maß an innerer Motivation“ aufgewogen werden, klingt das besser, als es sich in der prekären Wirklichkeit anfühlt: Die einen nennen es Arbeit, für die anderen ist es Selbstausbeutung.

Zwangsoptimismus allein führt auf jeden Fall nicht zu dem „leidenschaftlichen Gegenentwurf“ zum Neoliberalismus, den Friebe und Lobo am Anfang ihres Buches etwas großspurig angekündigt haben. Dass die „digitale Bohème“ ein globales Phänomen ist und ihre Angehörigen sich im Zuge der Globalisierung in Indien, China und auch sonst überall auf der Welt „unbekümmert und mit Spaß“ vor den Monitor setzen, ist natürlich Wunschdenken.

Auch im Internet findet schließlich bereits „eine Verschiebung gering bezahlter Tätigkeiten in Niedriglohnländer“ statt, wie die beiden Autoren etwas kleinlaut eingestehen. Und auf der virtuellen Weltkarte des Word Wild Web liegen Bombay und Berlin-Mitte nun einmal bedrohlich nahe beieinander.

KOLJA MENSING

Holm Friebe, Sascha Lobo: „Wir nennen es Arbeit. Die digitale Bohème oder Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung“. Heyne Verlag, München 2006, 303 Seiten, 17,95 Euro