Gestorben in diesem Sommer

Gestern wurde das Kind Kevin beerdigt, das am 10. Oktober tot im Kühlschrank der elterlichen Wohnung gefunden worden war. Die Todesursache ist genau so unklar wie das Todesdatum

von Eiken Bruhn

Klein ist das Loch, das die Totengräber auf dem Waller Friedhof gehoben haben, sehr klein. Nur 80 Zentimeter misst der weiße Sarg, in dem das misshandelte Kind Kevin gestern beerdigt wurde, neben seiner Mutter und einem tot geborenen Geschwister. Dass die beiden hier liegen, ist nicht zu erkennen, kein Grabstein erinnert an Sandra K., die ein Jahr vor ihrem Sohn starb, über ihrem Grab wächst Gras. Bei Kevin soll alles anders werden. Es heißt, die Nachbarn wollen eine Grabpflege organisieren, das Bestattungsunternehmen habe Blumen und Schmuck gespendet und auch die Jeans und das karierte Hemd, in dem Kevin beerdigt wurde. Auch die Stadt hat sich an den Kosten für die Beerdigung beteiligt, die Familie könne wohl selbst nicht viel geben, sagt ein Rathaus-Sprecher, der den Journalisten zeigt, wo sie stehen dürfen und wo nicht.

Eine stille Beerdigung hatte sich die Familie von Kevin gewünscht, ohne Kameraleute, die auf dem Weg zum Grab aus dem Gebüsch springen, wie es ein Sozialarbeiter ausdrückte, der die Familie nach Kevins Tod betreut hat. Weil die Fernsehteams auch ohne Einladung gekommen wären, hatte die Stadt vergangene Woche den Termin bekannt gegeben und um Zurückhaltung gebeten. So wurden die etwa 30 Trauergäste auf dem Weg zum Grab nicht gefilmt, auch während der Trauerfeier blieben sie unter sich. Journalisten hörten eine Übertragung der Andacht in einem Nebenraum. „Wer weiß, was ihm erspart geblieben ist“, mögen sich einige fragen, sagte die Gröpelinger Pastorin Jutta Konowalczyk-Schlüter, „wer weiß, was Kevin noch hätte leiden müssen“. Wer Kevin war, wie er gelebt hat, welche Vorlieben er hatte, was ihm Spaß gemacht hatte, blieb ungenannt. Vielleicht wusste es niemand so genau, vielleicht gab es nichts zu erzählen, was Kevin für die Hinterbliebenen in der Vorstellung wieder lebendig gemacht hätte, ohne an all das Elend zu erinnern, in dem er gelebt hat. In ihrer Fürbitte bat die Pastorin Gott um Beistand, „wenn Schuldgefühle uns quälen“ und darum, vor „Vorwürfen an andere“ zu bewahren. Den Mut zur Vergebung forderte sie von Kevins Angehörigen wohlweislich nicht ein, schließlich hatte sogar die Großmutter Kevins und Mutter des mutmaßlichen Täters klar gemacht, dass sie der Beerdigung fernbleiben würde, sollte dieser kommen. Doch Bernd K., der gewalttätige und drogensüchtige Lebensgefährte von Kevins Mutter, dem das Jugendamt die Erziehung von Kevin überlassen hatte, blieb gestern im Knast.

Nur vier Angehörige von Kevin machten sich so bei nasskaltem Wetter auf den Weg zu Kevins Grab, die leibliche Großmutter sowie deren zwei Töchter waren nicht gekommen. Die Mutter von Bernd K. hielt sich schützend eine Kapuze vors Gesicht, begleitet wurde sie von ihrem Lebensgefährten sowie Bernd K.s Stiefbruder und dessen Freundin. Hinter ihnen schritten der Bürgermeister Jens Böhrnsen und seine Frau sowie die Staatsrätin für Soziales und Gesundheit, Birgit Weihrauch, Nachbarn und Sozialarbeiter aus dem Kinderheim. Dessen Leiter hatte mehrfach versucht, Kevin nicht wieder zurück in die Kuhmer Straße schicken zu müssen, in der ihn Polizisten am 10. Oktober tot in einem Kühlschrank fanden. Die genaue Todesursache ist bisher genauso unklar wie das Datum, an dem Kevin starb, „in diesem Sommer“, behalf sich die Pastorin. Geboren wurde Kevin am 23. Januar 2004.