Wohnen am Limit

Fachleute fordern, die Mietobergrenzen für ALG II-Empfänger nach einem entsprechenden Urteil des Bundessozialgerichtes anzuheben, aber die Sozialbehörde sieht „keinen Handlungsbedarf“

VON ELKE SPANNER

Die Sozialbehörde hat gestern klargestellt, dass sie die Mietobergrenzen für Hartz IV-Empfänger auch nach einem entsprechenden Urteil des Bundessozialgerichtes von voriger Woche nicht anheben wird. „Wir sehen keinen Handlungsbedarf“, sagte Sprecher Rico Schmidt der taz. Es gibt ausreichenden Wohnraum zu den von uns festgelegten Konditionen.“

Das Bundessozialgericht hatte vorige Woche entschieden, dass Hartz IV-Empfängern die „ortsübliche“ Miete für Wohnungen mit einfachem Standard zu zahlen ist. Mit der Einschätzung, dass die derzeitigen Obergrenzen bereits dem Wohnungsangebot in Hamburg entsprechen, steht die Sozialbehörde ziemlich alleine da. Der Vorsitzende der Gewerkschaft DGB, Erhard Pumm, weist darauf hin, dass die Sozialbehörde bei der Berechnung der zulässigen Kosten veraltete Tabellen zugrunde legt. Die gingen von viel zu niedrigen Mieten aus. Die Kosten sollten sich „mindestens am Hamburger Mietenspiegel für einfachen Standard orientieren“. Behördensprecher Schmidt beteuert, dass der Mietenspiegel bereits Grundlage der zulässigen Kosten für ALG II-Empfänger sei – allerdings, räumt er ein, der Mietenspiegel aus dem Jahr 2003.

Stephan Nagel vom Diakonischen Werk weist darauf hin, dass der Mietenspiegel ohnehin nicht die reale Wohnraumsituation in der Stadt abbildet. Denn dort seien zwar noch billige Wohnungen erfasst – „die kommen aber nicht auf den Markt. Und wenn, wird die Miete zumeist um bis zu 20 Prozent erhöht“. Die GAL-Fraktion hat errechnet, dass beispielsweise eine alleinstehende Person maximal 318 Euro fürs Wohnen ausgeben dürfe, während der Mietenspiegel für die günstigste Wohnung 358,20 Euro beschreibt. Zum Vergleich: Im benachbarten Pinneberg zahlt die Hartz IV-Behörde 367 Euro.

Ungefähr 80 Prozent aller Hartz IV-Empfänger in Hamburg, so die arbeitsmarktpolitische Sprecherin Gudrun Köncke, könnten die festgezurrte Mietobergrenze nicht einhalten. „Die Richtwerte sind unfair“, sagte Köncke. „Statt Arbeit zu suchen, müssen sich viele Arbeitslose völlig unnötig mit zeit- und kraftraubender Wohnungssuche beschäftigen und werden aus ihren sozialen Bezügen gerissen.“

Rund 4.000 Empfänger von ALG II haben bislang die Aufforderung bekommen, sich eine günstigere Wohnung zu suchen. In 1.176 Fällen, so die Erkenntnisse des DGB, wurde die Hartz IV-Zahlung bereits auf die zulässige Miete gekürzt. Pumm fordert, nicht nur die tatsächlichen Ersparnisse der öffentlichen Hand zu berücksichtigen, sondern ebenso die sozialen und wirtschaftlichen Nachteile für die Betroffenen. „Es darf nicht dazu kommen, dass Kinder die Schule wechseln und Menschen kurz vor der Rente noch einmal umziehen müssen.“

Die Sozialbehörde fühlt sich für derartige Konsequenzen nicht verantwortlich. Zwar stammen von ihr die fachlichen Vorgaben an die Hamburger Hartz IV-Behörde (Arge) hinsichtlich der zulässigen Miete und Größe einer Wohnung. Härtefallklauseln aber hat die Sozialbehörde in ihre Weisungen nicht mit aufgenommen.

Sollte die Sozialbehörde bei ihrer Weigerung bleiben, die Mietobergrenzen den tatsächlichen Verhältnissen in Hamburg anzupassen, wird sich das Problem in den kommenden Jahren noch erheblich verschärfen. Das Diakonische Werk hat jüngst darauf hingewiesen, dass in den kommenden fünf bis zehn Jahren weitere 50.000 Wohnungen aus der Sozialbindung herausfallen werden. Das heißt: Das Kontingent für sozial schwache Familien, das seit den siebziger Jahren ohnehin von 400.000 auf 135.000 Wohnungen gesunken ist, wird fast halbiert.