„Wir waren zu nett“

Roland Augustin, Geschäftsführer der Antidoping-Agentur, will künftig einen schärferen Ton anschlagen, wenn es um die Belange der Nada geht. Im Gespräch beklagt er die Unterfinanzierung der Stiftung und spricht über Löcher in der Kontrollkette

INTERVIEW MARKUS VÖLKER

taz: Herr Augustin, das Image der Nationalen Antidoping-Agentur (Nada) hat in den vergangenen Wochen gelitten. Da war von Schlafmützigkeit die Rede und von Fahrlässigkeit im Umgang mit Informationen. Ist das Ansehen der Nada nach dem Fall Johannes Sickmüller beschädigt?

Roland Augustin: Das Bild der Nada, die Aufgabenstellung und die Reputation sind nicht angegriffen. Wir stehen zu dem Fehler. Wir haben nicht die übliche Taktik gefahren: Leugnen, leugnen, leugnen, sondern ich habe das persönlich auf meine Kappe genommen.

Welche Lehren ziehen Sie daraus, Hinweise eines Arztes über Doping in der Hamburger Radcross-Szene falsch bewertet zu haben?

Wir haben die internen Abläufe der Nada auf den Prüfstand gestellt und werden künftig vermeiden, dass im Tagesgeschäft so etwas verloren geht.

Hat die Nada dafür genug Personal?

Wir wissen, dass wir noch in der Aufbauphase sind. Und wir sind unterbesetzt, ja. Jeder bewegt sich am Leistungslimit. Dadurch konnte dieser Fehler passieren. Wir haben derzeit nur acht hauptamtliche Mitarbeiter. Die Aufgaben der Nada und das Personal, das wir zur Verfügung haben, das deckt sich einfach nicht.

Die Medien haben harsche Kritik an der Nada geäußert, zu Recht?

Die Diskussion wollen wir nutzen, um die Position der Nada als Center of Competence besser darzustellen.

Wird die Dopingdebatte derzeit zu hitzig geführt?

In diesem Jahr sind Dinge passiert, die dazu geführt haben, dass es viel Schwarz-Weiß-Denken gibt. Dass bei Versäumnissen die Kritik dann hart ausfällt, ist verständlich.

Der Antidopingkampf vor den Fällen Jan Ullrich und Floyd Landis war eher ein Nischenthema, jetzt steht er im Fokus der Öffentlichkeit.

Ja, er ist ein Mainstreamthema geworden. Das ist gut so, denn Doping ist ein gesellschaftliches Problem, keines nur der Topleute im Sport. Wobei sich die Sportler ja kaum zu Wort melden, immer nur Funktionäre.

Warum schweigen die meisten Sportler?

Sie haben wohl Angst vor Pauschalisierungen. Wer sich äußert, steht auch schnell in einer Ecke.

Im Zuge des Falles Sickmüller ist bekannt geworden, dass bereits am Anfang der Kontrollkette schwere Fehler passieren. Da nimmt ein Verbandsarzt die Urinprobe und pinkelt bei Bedarf auch mal für den Athleten ins Röhrchen.

Das Stichwort ist für uns: Kontrolle der Kontrolleure. Aber man darf nicht vergessen, dass diese Kontrollen, die Sie erwähnt haben, nicht unter unserer Hoheit gestanden haben, sondern unter der des Bundes Deutscher Radfahrer.

Trotzdem: Ist nicht nur der Sport korrupt, sind es auch die Kontrolleure?

Man muss vorsichtig sein, alles zu pauschalisieren. Jene Kontrolleure, mit denen wir zusammenarbeiten, Mitarbeiter der Firma PWC, sind meist pensionierte Kriminalbeamte, die genau wissen, um was es geht.

Die Schlupflöcher sind dennoch da!

Die Kontrollkette muss vom Anfang bis zum Ende definitiv geschlossen sein, sonst macht es keinen Sinn.

Das ist Ihre Aufgabe.

Das ist die tägliche Arbeit, die wir erledigen. Die Kontrollsysteme müssen immer wieder überprüft und reorganisiert werden.

Die Nada führt hauptsächlich Trainingskontrollen durch. Wie gehen Sie genau vor?

Der Wunschgedanke ist, dass jeder Athlet 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr verfügbar ist. Dieser Anspruch ist nur sehr schwer aufrechtzuerhalten, denn dafür müsste jeder Sportler mit einem GPS-Sender herumlaufen. Da wären wir beim Orwell‘schen Überwachungsstaat gelandet.

Was ist praktikabel?

Wir haben in diesem Jahr alle olympischen Verbände mit ihren Kaderathleten an unser Erfassungssystem angebunden. Wir müssen dafür sorgen, dass alle Daten zu uns kommen.

Wie gut funktioniert das?

Schon sehr gut. Es läuft ja jetzt auch übers Internet, wo sich die Athleten auf der Nada-Seite einloggen können. Natürlich wird es von Sportart zu Sportart und von Athlet zu Athlet unterschiedlich genutzt. Daneben gibt es noch die normalen, schriftlichen Abmeldungen. Normalerweise haben wir also die Stammdaten des Athleten, seine Rahmentrainingspläne und die Abwesenheitsmeldung.

Wie stark ist der Druck der Nada auf die Verbände, dass alle Daten geliefert werden?

Der Druck ist relativ groß. Wir sprechen oft darüber. Und wir weisen die Athleten bei einem so genannten Missed Test, wenn sie also nicht anzutreffen sind, darauf hin, dass sie eine Verpflichtung haben, sich zu melden.

Müsste man nicht mehr Selbstverantwortung vom Kaderathleten verlangen und sagen, die Dateneingabe kann nicht mehr über die Verbände laufen, sondern über ihn, den mündigen Sportler?

Die US-Amerikaner haben die Spitzenathleten direkt an die Agentur gebunden. Bei uns ist das noch nicht so. Es gibt eine Datenbank, die weltweit für die Topleute da ist, die Datenbank der Wada, Adams. Wir überlegen intensiv, dieses System auch für den deutschen Spitzenbereich einzurichten.

Welche deutsche Athleten kämen in die Wada-Datenbank?

Bestimmte internationale Verbände schreiben das ihren Athleten bereits vor. Mit denen werden wir kooperieren.

Weiß die Nada denn nun, wo sich derzeit etwa der Triathlet Normann Stadler aufhält?

Das sollten wir wissen. Dazu müsste ich allerdings meinen Rechner hochfahren, mich in die Datenbank einloggen und hoffen, dass die Daten vorhanden sind. Wenn keine Einträge da sind, gehe ich davon aus, dass er zu Hause ist.

Aha. Die Möglichkeit des Einloggens im Nada-Athletenportal ist ja relativ neu, warum hat es dieses Procedere nicht bereits mit Gründung der Agentur im Jahr 2002 gegeben?

(Lacht). Das Thema der Datenerfassung greift im deutschen Sport erst langsam. Wir mussten ja viele Dinge im laufenden Nada-Betrieb aufbauen.

Normalerweise gilt ein Missed Test als positiver Dopingtest, oder?

Die Abwesenheit bei Trainingskontrollen ist im Wada-Code ein sehr weicher Punkt, auch was die Bestrafung angeht.

Was heißt das nun für den Fall eines Missed Test?

Wenn ein Athlet nicht anzutreffen ist, muss dieser Vorgang nachgearbeitet werden. Es ist nicht automatisch so, dass ein nicht angetroffener Athlet einen Missed Test bekommt. Wir gehen alle Schritte noch einmal durch. Wir müssen auch die Aussagen des Kontrolleurs überprüfen. Dieses Procedere ist sehr, sehr aufwändig und nicht vergleichbar mit einer Radarfalle, wo es ein Foto und Messergebnis gibt. Bei einem Missed Test muss man sich wirklich reinknien.

Wie viele Fehltreffen sind letztlich Missed Tests?

Das werden wir erst im nächsten Jahr in der Nada-Jahresstatistik vorstellen. Wir arbeiten auf jeden Fall daran, die Sache wasserdicht zu kriegen.

Stimmt der Vorwurf, dass die beiden Radcrosser Sickmüller und Karl Platt mit der gleichen Handynummer in der Nada-Datenbank gespeichert waren?

Der stimmt. Allerdings lag der Fehler nicht bei uns, sondern anderswo. Wir haben Listen bekommen, wo die Nummer beim falschen Athleten aufgeführt war.

Ein Nebeneffekt der Dopingdiskussion ist, dass sich die Nada nun über eine Aufstockung des Stiftungskapitals freuen kann. Hilft Ihnen das Geld aus Berlin weiter?

Die Nada war in den ersten vier Jahren sehr nett. Wir haben gesagt: Wir machen erst mal unseren Job so gut wie möglich, dann schauen wir weiter. Erst in diesem Jahr haben wir vermehrt darauf hingewiesen, dass wir mit der finanziellen Ausstattung nicht gut arbeiten können.

Die Nada-Gründer haben sich damals, im Jahre 2002, sogar einen dreistelligen Betrag als Stiftungskapital erträumt?

Ja, aber unabhängig davon haben wir in den ersten Jahren sehr viel erreicht. Doch jetzt sind wir an einem Scheideweg angekommen. Wie können wir uns weiterentwickeln? Was sind künftig unsere Rahmenbedingungen? Das sind die zentralen Fragen. Wir sind aber dankbar für die zusätzlichen Mittel, weil wir nicht damit gerechnet haben. Das sollte Ansporn für ein Engagement der Wirtschaft sein.

Der SPD-Politiker Peter Danckert will 0,5 oder ein Prozent aus den Sportsponsoring-Erlösen, die etwa bei zwei Milliarden Euro jährlich liegen, an die Nada weiterleiten.

Das Thema der Unterfinanzierung ist in Politik und Wirtschaft angekommen. Es ist an uns, zusammen mit dem Nada-Kuratorium die Weichen zu stellen.

Zurzeit erhält die Nada von der Wirtschaft nur 150.000 Euro, die teilen sich Adidas, die Telekom und die Deutsche Bank. Werden sich diese Geldgeber künftig stärker engagieren?

Wir arbeiten daran, generell mehr Partner aus der Wirtschaft zu gewinnen.

Die Unternehmen halten sich aber seit Jahren zurück. Warum sollte sich das ausgerechnet jetzt ändern?

Weil sich ein Mentalitäts- und Wertewandel vollzieht. Man erkennt mehr denn je die enorme Bedeutung des Themas Doping in seiner Ausprägung beim Kontrollsystem und der Prävention. Es geht um die Reputation des Sports und seiner Förderer.

Eine Abgabe aus dem Sportsponsoring halten Sie also für sinnvoll?

Ich will sie nicht ausschließen, wir sollten alle Kanäle nutzen.

Die Nada will nicht mehr nett sein, das haben Sie bereits angedeutet. In der Diskussion um das Antidopinggesetz ist die Nada bereits sehr forsch aufgetreten. Sie haben sich gegen den Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach, und dessen Absage an ein Antidopinggesetz gestellt. Die Lage ist ja in etwa so: Bach sagt, die Sportler sollen übers Sportrecht bestraft werden, der Staatsanwalt solle sich lieber um die Hintermänner kümmern. Die Nada sagt, nein, der Sportler muss auch verantwortlich sein vorm Strafgericht, wenn er Dopingmittel besitzt und einnimmt.

Die Nada hat sich in den vergangenen Jahren sehr intensiv mit Strafanzeigen von Sportverbänden beschäftigt. Stichwort: Arzneimittelgesetz. Das hat keinen Spaß gemacht, das kann ich Ihnen sagen.

Warum?

Weil wenig passiert ist. Das Arzneimittelgesetz ist praktisch ein totes Gesetz. Das heißt: Es muss sich jetzt endlich etwas tun. Der Vorstand der Nada ist deshalb der Auffassung, dass im Rahmen gesetzlicher Neuregelungen der Athlet nicht pauschal einer Verfolgung durch die Strafbehörden entzogen werden darf. Staatliche Gerichtsbarkeit und Sportgerichtsbarkeit schließen sich nicht aus.

Was heißt das genau?

Es macht doch einen gewaltigen Unterschied, ob ich Besuch vom Staatsanwalt und der Polizei bekomme oder ob ich vor ein Sportgericht muss, das aus Leuten besteht, die ich gut kenne und wo eine gewisse Nähe und Intimität herrschen.

Was wird kommen, ein kompaktes Antidopinggesetz oder eine Verschärfung bestehender Gesetze?

Es wird Novellierungen geben, das auf jeden Fall. Das Thema der Besitzstrafbarkeit wird sicherlich zum Knackpunkt werden. Wir sind der Meinung, dass sich auch Sportler wegen des Besitzes, der Einnahme und Weitergabe von Dopingmitteln vor Gericht verantworten müssen. Aber wo ein Schulterschluss her müsste, verliert man sich in Scheingefechten. Das sind offenbar die Geflogenheiten im politischen Umfeld.

Herr Augustin, wie viele Illusionen haben Sie im Lauf ihrer Nada-Tätigkeit verloren?

Einige.

Konkret?

Zum Beispiel die Illusion, dass wir es im Sport mit sehr vielen netten, ehrlichen Leuten zu tun haben. Aber wie dem auch sei, ich bin nicht bereit, kampflos aufzugeben. Resignieren werde ich nicht, das widerspricht meinem Naturell.