Lärmschutz unter den Rädern

taz-Serie „Koalition unter der Lupe“ (Teil 5): Die Koalition ignoriert in ihrem Vertrag das Thema Lärmschutz fast komplett. Das freut die Umweltverwaltung, denn so kann sie mehr bewegen

von ULRICH SCHULTE

Vielleicht haben die Umweltpolitiker von SPD und PDS ja an einer Hauptstraße verhandelt. In etwa so: „Was schreiben wir denn zum Thema Lärmschutz in der Koalitionsvertrag?“ „WAS?!“ „Schreiben wir was zum Lärmschutz rein?!“ „LÄRMSCHUTZ? Nee, fällt mir auch nix ein!“ So könnte es gewesen sein. Denn dem innerstädtischen Lärm, der vielen Medizinern inzwischen als Umweltproblem Nummer eins gilt, widmet die rot-rote Koalition in ihrem Vertrag nur ein paar dürre Sätze.

Sie beruft sich als Erstes auf eine höhere Instanz. „Die Lärmminderungspläne werden entsprechend der EU-Richtlinie umgesetzt“, heißt es in dem Papier sehr allgemein. Und auch die einzige Idee für eine leisere Stadt, mehr Tempo-30-Zonen ist vage formuliert. In Wohngebieten sollen Autofahrer nachts zum langsam Fahren gezwungen werden, allerdings nur „unter sorgfältiger Einzelprüfung der Abschnitte und der hohen Belastung“. Auch bei Temporeduzierungen auf Hauptstraßen betont die Koalition, wie wichtig „eine strenge Einzelfallprüfung“ sei.

Ignoriert die Koalition ein Problem, das tausende Berliner um den Schlaf bringt und Hunderttausende stresst? Sicher ist: Den Verhandlern saß die Angst vor der Autofahrerlobby im Nacken. Rot-Rot will schon eine Umweltzone durchkämpfen, die Dieselstinker aus der Innenstadt verbannt – da wägt man jede neue Provokation ab.

Das Betonen der „Einzelfallprüfung“ kommt nicht von ungefähr: In den vergangenen Jahren verdonnerten Gerichte den Senat dazu, Temporeduzierungen auf einzelnen Hauptstraßen teilweise oder ganz zurückzunehmen. Vor allem Taxiunternehmen hatten dagegen geklagt. Für künftige Auseinandersetzungen fühlt sich die Umweltverwaltung aber gewappnet: „Wir haben eine Methodik entwickelt, um Tempo-30-Vorhaben gerichtsfest zu machen“, sagt Manfred Breitenkamp, der Abteilungsleiter Umweltpolitik. Wie viele wann kommen, hängt von der neuen Umweltsenatorin Katrin Lompscher (PDS) ab.

In ihrer Verwaltung ist man gar nicht unglücklich über den allgemein gehaltenen Passus zu den Lärmminderungsplänen. „Alle, die sich damit auskennen, wissen, dass da eine Menge hintersteckt“, sagt Breitenkamp. „Mit solchen Vereinbarungen kann die Verwaltung mehr durchsetzen, als wenn da zehn Unterpunkte drin stünden.“

Was genau, hat seine Verwaltung in Köpenick vorgemacht. Zwischen 2003 und 2005 haben die Planer den Lärmpegel in der Altstadt gemessen und dann mit einem Bündel von Maßnahmen verringert. Dazu gehörten zum Beispiel Verkehrsumleitungen, Tempo-30-Zonen und Tramgleise, zwischen denen neuerdings Gras wächst. Laut Breitenkamp eine kleinteilige Arbeit: „Lärm breitet sich nie gleich aus. Es ist äußerst kompliziert zu analysieren, welche Maßnahme welchen Effekt bewirkt.“

In Mitte, Pankow und Charlottenburg folgen jetzt drei weitere Pilotprojekte, die die Bezirke quasi in Watte packen sollen – Breitenkamp hofft auf Ergebnisse im kommenden Jahr. Schon Mitte 2007 will das Land das ganze Stadtgebiet nach der Lärmbelastung kartiert haben, dies schreibt die besagte EU-Richtlinie vor. In den Karten lässt sich dann zum Beispiel nachlesen, welcher Dezibelwert zu welcher Tageszeit am Kottbusser Damm herrscht.