Curriculum Vitae

Woher stammt ein Kunstwerk? Spektakuläre Bildrückgaben können der Provenienzforschung endlich die verdiente Aufmerksamkeit geben

Es geht nicht darum, berechtigte Forderungen zurückzuweisen

VON HAJO SCHIFF

In immer spektakulärere Höhen dreht sich das Karussell der internationalen Kunstauktionen. Und immer öfter handelt es sich bei den Millionenverkäufen an meist anonyme Privatleute um restituierte Werke aus öffentlichen Sammlungen. Wo die einen die moralische Verpflichtung sehen, für Unrecht aus Zeiten der NS-Herrschaft aufzukommen, wittern andere eiskalte Geschäftemacherei. Doch die Lage ist unsicher auf allen Seiten. Das Auktionshaus Christie’s, das das aus Wien zurückgegebene Klimt-Porträt „Adele II“ aus dem Nachlass Bloch-Bauer gerade für ungeheure 87,9 Millionen Dollar versteigerte, ist nun selbst durch das Restitutionsverlangen von Julius H. Schoeps, dem Direktor der Moses Mendelssohn Stiftung in Potsdam, betroffen. Er verlangt die Herausgabe von Pablo Picassos Porträt von Ángel Fernández de Soto (1913), das sich bis 1934 im Besitz seines Großonkels Paul von Mendelssohn-Bartholdy befand.

Das Problem betrifft freilich nicht nur große Bilder aus bekannten Schausammlungen, sondern auch tausendfach Bilder aus den Depots, es betrifft Zeichnungen, Kupferstiche sowie Objekte aus Kunstgewerbemuseen und ethnologischen Sammlungen. Und es geht nicht nur um Besitzwechsel zwischen 1933 und 1945. Auch die deutschen Fürstenhäuser haben überraschende, bis in die Weimarer Republik zurückreichende oder auf DDR-Unrecht bezogene Forderungen. Um all das aus dem nebulösen Agieren zwischen ökonomischem Begehren und verunsicherter Politik herauszuholen und die notwendige Klärung der Geschichte der Kunst herbeizuführen, gibt es eine ganze Wissenschaft, die viel zu wenig befragt wird: die Kunstgeschichte.

Nicht einmal für den geplanten Krisengipfel über weitere Rückgabeforderungen im Bundeskanzleramt wurde zur Kenntnis genommen, dass sich einige Museen seit längerem mit Provenienzforschung befassen. Doch so sinnvoll es ist, sich schon weit vor möglichen, manchmal zweifelhaften Forderungen von gewieften Anwälten mit der Herkunft und der Sammlungsgeschichte des eigenen Museumsbesitzes zu befassen, so wenig wird diese notwendige Hintergrundforschung unterstützt.

Acht Millionen Euro wollte die baden-württembergische Regierung dem badischen Fürstenhaus bezahlen für die „Markgrafentafel“ des deutschen Malers Hans Baldung Grien – doch genaueres Studium der Unterlagen durch einen externen Historiker erbrachte Anfang November, dass diese definitiv seit 1930 bereits in öffentlichem Eigentum ist. Hektische Reaktionen auf Rückgabeverlangen sind aber keine vernünftige Methode, mit der komplizierten deutschen Geschichte umzugehen – und sie machen im Ausland einen schlechten Eindruck. Doch in eine kontinuierliche Klärung wird kaum investiert: Abgesehen von einigen begrenzten Forschungsvorhaben gibt es nur in Hamburg an der Kunsthalle seit 2000 eine Stelle zur Provenienzforschung. Für diesen Bereich ist Frau Dr. Ute Haug bundesweit die einzige regulär und unbefristet angestellte Forscherin. Das rentiert sich für die Hamburger Kunsthalle moralisch, wissenschaftlich und – wenn man so will – auch ökonomisch. Denn dort kommen jetzt deutlich weniger und besser begründete Rückgabeforderungen an.

Durch die jahrzehntelange Vernachlässigung von Forschungen zur Sammlungs-, Rezeptions- und Provenienzgeschichte haben die öffentlichen Sammlungen ja überhaupt erst ein Informationsvakuum geschaffen, in das geschickte Anwälte mit Forderungen vorstoßen können, meint Ute Haug. Dabei geht es ihr keineswegs darum, berechtigte Forderungen zurückzuweisen oder einen Schlussstrich zu ziehen. Auch wäre es falsch, institutionsgeschichtliche Forschung nur unter dem Aspekt der Rechtfertigung öffentlichen Besitzes zu sehen. Beschlagnahmtes Eigentum kann nicht als Gemeingut betrachtet werden: „Die Museen sind nicht die Eigentümer, nur die Verwalter ihrer Kunstwerke – und wir haben diese besondere historische Verantwortung“, sagt Ute Haug.

Eigentlich sind diese Forschungen eine normale kunsthistorische Arbeit an jedem einzelnen Kunstwerk. Die Herkunft aus bestimmten Sammlungen und die Berührung mit bestimmten Familienbiografien allein reicht für eine allseitig akzeptable wissenschaftliche Klärung nicht aus. Notwendig ist die Forschungsarbeit in Archiven und Literatur, Verfolgung der Rezeptionsgeschichte durch Kunsthandel, Kunstraub und Sammeltätigkeit, und das möglichst zurück bis zur Entstehung des Kunstwerks, dazu kommt noch die juristische Prüfung.

Wie das funktioniert, zeigt der Fall des Rückgabeverlangens betreffs Max Liebermanns „Der Chirurg Ferdinand Sauerbruch“, angeblich aus der ehemaligen Sammlung Gustav und Clara Kirstein. Nach den Selbstmorden des jüdischen Ehepaars „kaufte“ 1938 die Stadt Leipzig die Sammlung, ohne jemals den in die USA emigrierten Kindern irgendeine Zahlung zu leisten. 2001 wurde schließlich vieles davon an die Erben zurückgegeben und dann bei Sotheby’s versteigert. Doch für das 1951 für die Hamburger Kunsthalle erworbene Bild konnte eine ganz andere Geschichte nachgewiesen werden: Es gab eine bis dato unbekannte zweite Kunstsammlung Kirstein, die des Bruders Berthold und dessen Frau Bettina, die in Brüssel die Nazizeit überstanden und das Bild aus ihrem Besitz 1950 in den Kunsthandel gaben: eine fast unerwartet saubere Provenienz ohne jeglichen Grund für die geforderte Rückgabe in die USA.

Ganz anders liegt der Fall bei einem Selbstporträt von Cornelis Pietersz Bega aus dem 17. Jahrhundert. Hier weckte nicht nur der Ankauf von der dubiosen Kunsthandlung Arcana im Jahre 1940 die Aufmerksamkeit von Ute Haug, sondern auch die mit Hilfe der Restauratoren auf der Bildrückseite gefundene Spur zu Jacques Goudstikker, dem niederländischen jüdischen Altmeister-Kunsthändler, dessen umfangreichen Besitz sich Göring aneignete. Die Hamburger Kunsthalle wird die schöne kleine Ölskizze demnächst aus eigener Initiative an die Erben zurückgeben. Es geht bei der Restitutionsproblematik sehr wohl auch ums Geld. Aber nicht um die wieder aufkeimenden altbekannten Ressentiments ums Thema Juden und Geld, sondern um die öffentliche Hand, die politische Erklärungen unterschreibt, ihre Museen aber so mangelhaft ausstattet, dass diese gezwungen sind, aus wirtschaftlicher Notwendigkeit zu Eventorten zu werden, statt in Ruhe ihrem Auftrag, zu forschen und zu bewahren, nachzukommen.