Aufm Kauftrip nachts um halb eins

Ein neues Kapitel des Ladenschlusses beginnt: Weil Buchhändler Dussmann bereits ab heute durchgehend öffnet, lässt Berlin das entsprechende Gesetz früher in Kraft treten

Es gibt noch Menschen, die die Arbeit des rot-roten Senats loben. „In München hätte man nie so flexibel reagiert“, urteilt Buchhändler Peter Dussmann. Der Betreiber des so genannten Kulturkaufhauses hat allen Grund, die flexiblen Berliner zu loben. Weil Dussmann zu Wochenbeginn mit der Ankündigung vorpreschte, bereits ab heute seinen Laden länger geöffnet zu halten, zog der Senat eilig nach. Gestern – eine Woche früher als geplant – erschien das neue Landesgesetz im Gesetz- und Verordnungsblatt. Statt zum 1. Dezember dürfen deshalb schon ab heute Geschäfte in Berlin fast immer ihre Türen öffnen.

Demonstrativ lädt Dussmann heute ab 22 Uhr zur „Ladenschluss-Killer-Party“. Bis morgen Abend um 24 Uhr bleibt das Kaufhaus durchgehend geöffnet. Berlin hat es besonders eilig bei der Freigabe der Öffnungszeiten. Schneller als die 15 anderen Bundesländer nutzt die Stadt ihr neues Recht, über die Einkaufszeiten zu bestimmen.

Montags bis sonnabends dürfen Geschäfte ihre Pforten rund um die Uhr öffnen. Nur an Sonntagen gelten Beschränkungen. An bis zu acht Sonntagen dürfen Läden zwischen 13 und 20 Uhr geöffnet sein. Die vier Adventssonntage zählen dazu. Einzelne Geschäfte dürfen, beispielsweise wegen Firmenjubiläen, an zwei weiteren Sonntagen öffnen.

Mit der Vergabe von Sondergenehmigungen war der Senat schon bislang freigebig. Anlässe wie die „Grüne Woche“ nutzte Berlin in diesem Jahr für die Genehmigung von insgesamt vier verkaufsoffenen Sonntagen. Für die Mitarbeiter sehen die Regelungen Entlastungen vor: Im Handel dürfen sie nur an zwei Adventssonntagen arbeiten.

Die Branche gibt sich gelassen. Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, urteilt: „Es wird keine große Eruption geben.“ Er geht davon aus, dass das Gros der Läden bis Anfang Dezember die künftigen Öffnungszeiten festlegt. Ein Jahr könne es dauern, bis Unternehmen und Betriebsräte praktikable Lösungen gefunden haben.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di befürchtet Einbußen für die Beschäftigten. Zum Jahresende haben die Arbeitgeber die Tarifverträge gekündigt. Sie sehen nach 18.30 Uhr Spätzuschläge bis zu 50 Prozent eines Stundensatzes oder Zeitgutschriften vor. Ver.di will deren Streichung verhindern und vor dem Landesverfassungsgericht gegen das neue Gesetz klagen.

Die evangelische Kirche protestiert auf eigene Weise gegen die Sonntagsöffnungen. Sie zieht ihre Beteiligung an der Aktion „Alles hat seine Zeit – Advent ist im Dezember“ zurück. Im Bunde mit dem Berliner Einzelhandel hatte die Kirche ursprünglich so der Ausweitung des Weihnachtsgeschäfts auf die Zeit vor Totensonntag (26. November) entgegenwirken wollen. „Es ist eine Entscheidung, die aus sich selber spricht“, sagte Bischof Wolfgang Huber. MATTHIAS LOHRE