Polizei löst Krawall auf

Nicht von 100, sondern von einzelnen Migranten sei die Polizei in Kreuzberg attackiert worden, relativiert Polizeipräsident Glietsch. Runder Tisch soll Vertrauen bilden. Ähnlicher Vorfall in Tiergarten

VON PLUTONIA PLARRE

Erneut sind Einsatzkräfte von einer Menschenmenge bei ihrer Arbeit behindert worden. Diesmal handelte es sich allerdings nicht um Polizeibeamte, sondern um die Besatzung eines Rettungswagens. Als diese am Mittwochabend in Tiergarten einen von einem Auto angefahrenen fünfjährigen Jungen ins Krankenhaus bringen wollten, hätten mehrere Personen nichtdeutscher Herkunft den Weg versperrt, so die Polizeimitteilung. Erst nachdem Polizeibeamte eingeschritten seien, habe das Kind abtransportiert werden können. Zuvor sei der Fahrer des Unfallwagens von zwei Personen aus der Menge so bedrängt worden, dass er in eine nahegelegene Polizeiwache flüchtete.

Im Kreuzberger Wrangelkiez hatte sich am Dienstag, wie berichtet, ein ähnlicher Vorfall ereignet. Die Besatzung einer Funkstreife, die zwei 12-Jährige festgenommen hatte, sah sich plötzlich einer Menge Jugendlicher, zumeist türkischer und arabischer Herkunft, gegenüber. Die 12-Jährigen sollen kurz zuvor versucht haben, einen 15-Jährigen zu berauben. Personen aus der Menge versuchten den Abtransport der 12-Jährigen mit Attacken gegen die Beamten und das Fahrzeug zu verhindern Die Beamten mussten Verstärkung anfordern.

Die erste Darstellung seiner Pressestelle, „eine Ansammlung von 80 bis 100 Jugendlichen“ sei „massiv gegen Polizeibeamte vorgegangen“, hat Polizeipräsident Dieter Glietsch gestern korrigiert. Lediglich „einzelne Personen“ seien gewalttätig geworden. Einer der beteiligten Jugendlichen hatte nach dem Vorfall gegenüber der Presse berichtet, die 12-Jährigen seien wie Terroristen behandelt und mit Handschellen gegen eine Wand gestellt worden. „Geh doch zurück in dein Land“, hätten die Polizisten auf seinen Protest erwidert. Laut Glietsch hat das Landeskriminalamt wegen der Rassismusvorwürfe ein Ermittlungsverfahren gegen die Beamten eingeleitet.

Das ist nicht die einzige Konsequenz aus dem Vorfall. Am Montagabend wollen Vertreter von Jugendamt, Quartiersmanagement und Polizei mit beteiligten Jugendlichen an einem runden Tisch zusammenkommen. Es gehe darum, Vorurteile auszutauschen und einen Weg zu finden, diese abzubauen, sagte der SPD-Abgeordnete Stefan Zackenfels, der das Treffen zusammen mit Ahmet Iyidirli, Bundesvorsitzendem der „Türkischen Sozialdemokraten“, initiiert hat. Presse ist nicht erwünscht. Selbiges gilt für hochrangige Amtsleiter und sonstige Würdenträger. „Wir wollen ein Arbeitstreffen von Leuten, die tagtäglich im Kiez miteinander zu tun haben“, so Zackenfels.

Gliesch sagte, er nehme die Vorfälle sehr ernst, warnte aber davor, von einer neuen Qualität und Pariser Verhältnissen zu sprechen. Ein Blick in das taz-Archiv gibt dem Polizeipräsidenten recht. Schon 1999 hat es nicht nur in Kreuzberg, auch in Schöneberg, Prenzlauer Berg und Köpenick ähnliche Vorfälle gegeben. „Das ist Teil einer Entwicklung der letzten Jahre. Wir haben zu viele junge Männer nichtdeutscher Herkunft, die sozial ausgrenzt sind, auf der Straße herumlaufen und ihren Hass und Frust in Gewalttätigkeiten entladen“, so Glietsch gestern.

Der Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg, Safter Cinar, sagt, er sei froh über Glietschs „moderate Sichtweise“ des Problems. Soziale Ausgrenzung sei das eine. Hinzu komme, dass sich die Jugendlichen bei staatlichen Maßnahmen sofort ins Unrecht gesetzt fühlten, gegen die Polizei seien und Lust am Kräftemessen hätten. Das alles sei aber kein Grund, einen Raub, wie den an dem 15-Jährigen, zu tolerieren. „Das kann nicht hingenommen werden.“