Gemeinschaft dringend gesucht

taz-Serie „Koalition unter der Lupe“ (Teil 8): Rot-Rot will den Einstieg in die Gemeinschaftsschule von Klasse 1 bis 13. Dafür spendiert die Regierung 22 Millionen Euro. „Viel zu wenig“, kritisiert die GEW

VON DOMINIK SCHOTTNER

Egal, welchen Begriff man wählt für die neue Schulform, ob „Einheitsschule“ (CDU), „Gemeinschaftsschule“ (Rot-Rot), oder ob man mittels „einheitliches Schulsystem“ (FDP) geschickt um eine Begriffsfestlegung herumtänzelt – der Koalitionsvertrag von SPD und Linkspartei schreibt den Einstieg in die jahrgangs- und schulformenübergreifende Schule fest. Darin heißt diese Form „Gemeinschaftsschule“. Es ist ein Kernprojekt des Vertrags. In einer so genannten Pilotphase, die von 2008 bis 2011 dauern wird, soll an dem Projekt teilnehmenden Schulen mit 22 Millionen Euro geholfen werden, entsprechende Infrastruktur aufzubauen, bauliche wie personelle.

„Viel zu wenig“ Geld sei das, urteilt die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Rose-Marie Seggelke. Zwar sei die GEW grundsätzlich für den Einstieg. Doch fänden sich im Koalitionsvertrag nur Absichtserklärungen, so Seggelke zur taz. Und „die wirken auch wie abgeschrieben aus unserem Programm. Aber es fehlen die Handlungsanweisungen, anders als bei uns.“

Absolut gegen die Einführung sind die bildungspolitischen Sprecher der CDU und FDP. „Ideologisches Zeugs“ ist die „Einheitsschule“ für den CDU-Mann Sascha Steuer, „Kinder werden dort unabhängig von ihren Fähigkeiten zusammen unterrichtet“. Lieber solle das Geld verwendet werden, um die „600.000 Stunden Unterrichtsausfall“ wieder mit Leben zu füllen. Mieke Senftleben von der FDP sieht in der „ideologisch geprägten Schulpolitik des rot-roten Senats eine Bedrohung für den Bildungsstandort“. Besser fände sie, wenn mit dem Geld die Ganztagsschulen ausgebaut würden. Dazu finden sich im Koalitionsvertrag genau: null Zeilen.

Etwas mehr Raum nimmt dagegen die Eigenverantwortung der Schulen ein: einen Absatz, 15 Zeilen. Rot-Rot erklärt darin die Absicht, den Schulleitern mehr Kompetenzen zu übertragen, gerade im Bereich der Vertretungsstunden. Dazu soll jede Schule den baren Gegenwert von 3 Prozent ihrer Personalausstattung erhalten, mit dem sie dann auf dem freien Markt Lehrkräfte für Vertretungen anheuern kann. „Richtig gut, weil FDP pur“, findet die Idee Mieke Senftleben. Allerdings sei sie sich nicht sicher, „ob das durchgesetzt werden kann, weil die Gewerkschaften sicher etwas dagegen haben werden“.

Haben sie aber gar nicht. „Von der Konstruktion her ist das gut“, sagt Rose-Marie Seggelke von der GEW. Anders als der Leiter der Moses-Mendelssohn-Oberschule, Hartmut Blees (siehe Interview), glaubt Seggelke aber nicht daran, dass der Markt genügend Potenzial habe, um die Bedürfnisse aller Schulen zu befriedigen. „Kleine Schulen bekämen nach der 3-Prozent-Regel ohnehin zu wenig Geld, um ausfallende Stunden auch nur annähernd gleichwertig aufzufüllen“, schiebt Seggelke nach.

Parteiübergreifend ist man sich einig, dass trotz der Vielzahl ausgefallener Stunden eher ausgebildete Pädagogen den Unterricht leiten sollten statt am Lehrbetrieb interessierte Fachleute wie Physiker, Sportwissenschaftler oder Chemiker. „Für Vertretungen kann ich mir das gar nicht vorstellen“, sagt Seggelke. Auch FDP-Sprecherin Senftleben, der die Forderung nach mehr Eigenverantwortung der Schulleiter sonst nicht weit genug geht, sieht Grenzen: „Man muss schon die Eltern fragen, ob das okay ist.“