SPD: Ausbruch aus dem Rüttgers-Bunker

Die ersten Sozialdemokraten widersprechen ihrer Führung und fordern eine längere Zahlung des Arbeitslosengeldes an Ältere. Ottmar Schreiner zur taz: „Das ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit.“ Auch die Linke Andrea Nahles zeigt sich offen für die Idee

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Man reibt sich verwundert die Augen. Da kämpft scheinbar die gesamte SPD, und zwar von links bis rechts, verbissen gegen Jürgen Rüttgers und dessen Idee, älteren Menschen länger Arbeitslosengeld I zu zahlen als jüngeren. Als „Sozialschauspieler“ beschimpfen die Sozialdemokraten den CDU-Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, als „billige Kopie von Norbert Blüm“. Für so viel Sturheit kassiert die SPD von den Arbeitgebern tosenden Beifall und vom CSU-Generalsekretär den Vorwurf, eine Partei mit „neoliberalen Tendenzen“ zu sein.

Verkehrte Welt? Nicht für die SPD. Ihre Überzeugung, das Richtige zu tun, basiert auf den Finanzierungsvorschlägen von Rüttgers. Dieser will das Geld, das er den älteren Arbeitslosen verspricht, bei den Jüngeren kassieren. Doch so sehr die SPD auch tobt und schimpft und kritisiert – Rüttgers Idee kommt an im Land, auch bei der sozialdemokratischen Basis, weil die Zuhörer nur den frohen Teil der Botschaft vernehmen: Da ist einer, der ihre Sorgen vor dem sozialen Abstieg scheinbar ernst nimmt.

Jetzt melden sich die ersten Sozialdemokraten zu Wort, die zwar Rüttgers Finanzierungsmodell ablehnen, aber seine Grundidee für richtig halten. „Ich vertrete schon seit längerem die Ansicht, dass ältere Menschen, je nach Dauer ihrer Beitragszahlungen, länger Arbeitslosengeld bekommen sollten“, sagt der Bundestagsabgeordnete und SPD-Linke Ottmar Schreiner der taz. Die jetzige Regelung, wonach alle nach zwölf beziehungsweise die über 55-Jährigen nach 18 Monaten auf Hartz IV fallen, hält er für „nicht gerecht“. Das sei eine „Entwertung von jahrzehntelanger Lebensleistung“.

Gerade ältere Menschen hätten auf dem Arbeitsmarkt so gut wie keine Chance mehr, betont Schreiner, der Chef der sozialdemokratischen AG für Arbeitnehmerfragen ist. „Wenn die Älteren heute arbeitslos werden, sind sie von einer doppelten Form von Armut bedroht: von Hartz-IV-Armut sowie von Altersarmut.“ Man müsse sich zuallererst zwar darauf konzentrieren, die Chancen der Älteren auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Trotzdem sei die Staffelung des Arbeitslosengeldes entlang der gezahlten Beiträge „ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit“. Schreiner fordert außerdem eine Generalrevision der Hartz-Reformen. „Was haben die Instrumente denn gebracht?“, fragt er. „So gut wie nichts, am allerwenigsten die als neue Wunderwaffe gefeierten Personalservice-Agenturen.“

SPD-Präsidiumsmitglied Andrea Nahles formuliert zwar nicht so scharf wie Schreiner und denkt nicht so radikal wie er – aber auch sie vertritt die Ansicht, bei der jetzigen miesen Lage auf dem Arbeitsmarkt wäre es sinnvoll, den Älteren länger Arbeitslosengeld zu zahlen. „Die geltende Regelung, wonach über 55-Jährige 18 Monate lang das Arbeitslosengeld I erhalten, könnte auf 24 oder 32 Monate verlängert werden“, sagt Nahles zur taz. Wichtig sei, dass diese Mehrausgaben nicht zu Kürzungen bei anderen Arbeitslosen führen. Eine solche Verlängerung, unter Umständen auf fünf Jahre befristet, hält die SPD-Linke für vertretbar – auch wenn sie weiterhin dafür eintritt, dass die Arbeitslosenversicherung eine Risikoversicherung bleibt, aus der sich keine höheren Ansprüche ableiten, nur weil man länger Beiträge eingezahlt hat.

Nahles erinnert daran, dass die SPD-Bundestagsfraktion im Juni 2005 einen Beschluss gefasst habe, mit dem die ursprünglich geltende Regelung, dass das Arbeitslosengeld bis zu 32 Monate gestaffelt werden könne, bis Januar 2008 verlängert werden sollte. Gescheitert sind die Sozialdemokraten damals an der Union – und einem gewissen Jürgen Rüttgers.