Ein Festtag der Demokraten

Fast 10.000 Menschen demonstrieren im brandenburgischen Halbe – und verhindern damit erstmals das rechtsextreme Heldengedenken auf dem örtlichen Soldatenfriedhof. Doch die NPD will schon am Wochenende wieder dort aufkreuzen

AUS HALBE KONRAD LITSCHKO

Gerhard Marschlich hat sein Fahrrad an den Gartenzaun seines Kumpels gelehnt. Der 69-Jährige trägt eine braune Samtjacke, steckt die Hände in die Taschen. Während der Nachbar nach dem Essen schaut, betrachtet Marschlich den Trubel auf der Lindenstraße vor dem Haus. Familien, Parteigänger und Punks haben sich da eingefunden. Die ganze Hauptstraße des kleinen Ortes Halbe, südöstlich von Berlin, haben sie mit Ständen gepflastert. Die Senioren-CDU neben der evangelischen Jugend oder der Gewerkschaft Verdi.

Zusammen wollen Bürger und Politiker an diesem Samstag in Halbe „Nazi-Träume platzen lassen“, wie es auf großen Bannern heißt. Rechtsextreme aus dem ganzen Bundesgebiet hatten bereits zum siebten Mal zu ihrem „Heldengedenken“ auf dem größten deutschen Soldatenfriedhof in Halbe aufgerufen. Hier starben in einer Kesselschlacht am Ende des Zweiten Weltkrieges 60.000 Menschen. Aufgrund eines gerichtlichen Marschverbots waren die Rechten allerdings kurzerhand ins 100 Kilometer entfernte Seelow, nahe der polnischen Grenze, ausgewichen.

Gerhard Marschlich sagt über die Demonstranten: „Das ist schon ganz gut so, dass die hier sind.“ Sein ganzes Leben lang hat er in Halbe gelebt, ist als Achtjähriger mit seiner Mutter und den vier Geschwistern vor der Kesselschlacht nach Schwerin geflohen. Nach Kriegsende kamen sie zurück – ohne Vater, der war gefallen. Bis heute finden die Dorfbewohner Gebeine und Munitionsreste im Wald. Auch Marschlich hat sich ein paar Jahre in der lokalen Kriegsgräberfürsorge engagiert, auf dem Friedhof etwas aufgeräumt. Dass die Rechten Jahr um Jahr für ihr „Heldengedenken“ in sein Halbe kommen, will Marschlich immer noch nicht ganz verstehen. „Verbieten sollte man das.“

Der Tag hatte in Halbe mit einem Gottesdienst begonnen. Auf dem Friedhofsvorplatz, genau dort, wo früher die Neonazis ihre Kränze ablegten. „Es ist nicht erlaubt, die Opfer zu Helden zu machen und sie so im Tod noch zu instrumentalisieren“, mahnt Pastorin Heilgard Asmus. Dicht an dicht drängen sich die Leute vor der schlichten Bühne, über ihnen kreist der Helikopter.

Auf der Lindenstraße formieren sich die Menschen derweil zu einer Kette quer durch den Ort. „Mit Recht gegen Rechts“, „Braun ist doof“ oder „Keine Helden, sondern Opfer“ haben Schüler auf Transparente gepinselt. Zu vierzigst sind sie mit einem eigenen Bus an diesem Tag nach Halbe gekommen, erzählt eine Berufsschülerin aus Rathenow. „Dafür kriegen wir einen anderen Tag frei.“

Es werden Bratwürste gegessen auf der Lindenstraße, Anti-Nazi-Devotionalien feilgeboten, Straßenfußball gespielt. Ganz vorne, auf der riesigen Bühne, spielt eine ukrainische Folkloreband, später wird der Liedermacher Heinz Rudolf Kunze auftreten. „Die Mucke ist scheiße, aber man muss trotzdem ein Zeichen setzen“, sagen „Fisch“ und „Achim“, die beiden Punks aus dem Nachbardorf Klein Köris. Selbst sie haben sich die roten Schals der Demokraten über ihre Nietenlederjacken gelegt.

Es herrscht eine gut gelaunte Einmütigkeit unter den Demonstranten. Auch Politikgrößen haben sich unter die Menge gemischt. Da plaudert Grünen-Chefin Claudia Roth mit dem Jesus-Freak und Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm mit Neuenhagener Gymnasiasten. Immer wieder werden die Teilnehmerzahlen unter Beifall nach oben korrigiert. 8.000 Demonstranten will der Veranstalter am Ende gezählt haben.

Die Einwohner von Halbe betrachten das Spektakel derweil skeptisch. Nicht jeder ist über den Protest so erbaut wie Gerhard Marschlich. „Links, rechts – die sind doch alle gleich. Die wissen gar nicht, was hier los war“, schimpft eine Rentnerin mit Schürze und zieht sich zurück in ihr Haus. Einige verfolgen den Trubel von ihren Fenstern, manch einer wagt sich auf die Festmeile.

Auch Seelow, der Ausweichort der Nazis, hatte kurzerhand einen Tag der Demokraten organisiert. Bis zu 2.000 Teilnehmer hätten dort gegen die Nazis protestiert, schätzt der Veranstalter. Trotz vereinzelter Blockadeversuche konnten die Rechten am Friedhof ihre Kränze niederlegen. Auf Seiten der Gegendemonstranten wurden drei Personen festgenommen, die Steine auf Busse der anreisenden Nazis geworfen hatten.

Dass die Nazis ihr Verweis aus Halbe mehr wurmt als zugegeben, macht ein Aufruf der brandenburgischen NPD klar. Sie ruft für das kommende Wochenende erneut zu einer Kundgebung in Halbe auf. Diesmal aber vorgeblich, um gegen die Landesdelegiertenkonferenz der Grünen in dem Ort zu demonstrieren.