Verwirrungen im Panzer

Wilde Partys wie sonst nie auf Filmfestivals und auch absolut kein Grund, sich über die Jury zu ärgern: Am Samstag ging in Cottbus das 16. Festival des osteuropäischen Films zu Ende. Ein Nachbericht

Unbegreiflich, warum es so wenige der großartigen rumänischen Filme in die deutschen Kinos schaffen

VON DETLEF KUHLBRODT

Lange Zeit war ich ein großer Fan des osteuropäischen Kinos, irgendwann verlor ich aber die Verbindung. Wahrscheinlich hatte ich einfach zwei, drei zu klischeehafte Filme aus Russland gesehen, das mit der Seele war mir zu viel geworden, meine slawophilen Freunde hatte ich aus den Augen verloren, Rumänien hatte mich mehrmals im Fußball enttäuscht. Seitdem nahm ich Filme aus Osteuropa nur noch nebenher mit. Das 16. Festival des osteuropäischen Films in Cottbus, das am Samstag endete, war somit also auch eine Begegnung mit der Vergangenheit. Seltsam vertraut erschien mir die Stadt, die leeren Straßen, die kleinen Parks, die Plattenbauten und die alten, langsam vor sich hin zerfallenden Häuser; das romantische Staatstheater, in dem das Festival sehr feierlich – mit Philharmonischem Orchester usw. – eröffnet wurde.

Das Festival bildete den Abschluss der Feierlichkeiten zum 850. Geburtstag von Cottbus. Während der Eröffnung scherzte man wieder mal darüber, dass es in der Cottbuser Innenstadt, abgesehen vom „Obenkino“ im Jugendkulturzentrum Glad-House, immer noch kein kommerzielles Kino gebe. Zwischen den Aufführungsorten gab es blaue Streifen auf dem Gehweg. Sie hielten einen davon ab, sich zu verlaufen.

Das Festival war ein seltsam-toller Organismus aus ausgesprochen guten Filmen, einem gemischten (also nicht nur jungen) Publikum und angenehmen Haupt- und Nebenorten – wie etwa der Einkaufspassage, in der ein Festivalcontainer mit Leinwand stand, vor der manchmal alte Frauen und Männer mit Bier saßen und sich Kurzfilme über Cottbus anschauten.

Insgesamt wurden 120 Filme gezeigt, im Zentrum standen 10 Wettbewerbsfilme. Daneben gab es zwei Fokusprogramme, mit bulgarischen und rumänischen Filmen, und eine umfangreiche, oft bewegende Retrospektive mit sorbischen Filmen, die auch den Grund dafür lieferten, dass das Festival diesmal „Chosebuz“ hieß.

Cottbus schmückt sich damit, Deutschlands größte zweisprachige Stadt zu sein. Wie viele Einwohner der slawischen Minderheit der Sorben angehören, ist unklar. Die meisten ehemaligen Einwohner der sorbischen Dörfer, die dem Braunkohleabbau weichen mussten, seien nach Cottbus gezogen, sagt Gregor Wieczorek, der Chefredakteur der sorbischen Wochenzeitung Nowy Casnik. Es gibt kaum unter 70-jährige niedersorbische Muttersprachler. Mit einem sorbischen Gymnasium und einem sorbischen Kindergartenprogramm versucht man, das Sorbentum in der Niederlausitz vor dem Aussterben zu bewahren.

Für die Vernichtung sorbischer Dörfer war auch Vattenfall verantwortlich. Die Proteste gegen den Konzern, der andererseits sorbische Kulturaktivitäten fördert (und somit letztlich auch die Dokumentation der Zerstörung sorbischer Dörfer) und der Hauptsponsor des Filmfestivals ist, sind fast verstummt. Man versteht zwar die Zwänge und Notwendigkeiten, und doch war es schon etwas penetrant, wie oft der ansonsten äußerst angenehme und verdienstvolle Festivaldirektor Roland Rust den Hauptsponsor dafür lobte, dass er die „Energie für den Film“ liefere. Besonders berührend war die Aufführung von Peter Rochas Trilogie „Schmerzen der Lausitz“, in der der Filmemacher die Verwüstungen dokumentierte.

So wilde Partys wie in Cottbus habe ich noch nie am Rande eines Filmfestivals erlebt. Plötzlich wurde mir klar, dass Cottbus eigentlich in Osteuropa liegt. Und irgendwie war es logisch, dass der mit Handkamera gedrehte serbische Film „Morgen in der Früh“ von Oleg Novković nicht nur den Hauptpreis des Festivals, sondern auch noch einige andere Preise gewann, denn er handelt von Post-Wende-Erfahrungen, also von Gefühlen, die auch in Cottbus präsent sind. Wie in vielen anderen Filmen des Festivals geht es um die Frage: Gehen oder hierbleiben? Der Held, Nele, lebt in Kanada und kommt zurück nach Belgrad, um eine auswanderungswillige Freundin zu heiraten. Er trifft Freunde. Ein unglaubliches Trinken beginnt. Das Früher, alte Geschichten, Beziehungen, Verletzungen, kommen wieder hoch. Es geht auch um einen alten Freund, der sich das Leben nahm.

Großartig waren auch die rumänischen Produktionen. Mir ist es unbegreiflich, warum es so wenige rumänische Filme in deutsche Kinos schaffen. Zwei rumänische Wettbewerbsfilme wurden zu Recht ausgezeichnet. Beide beschäftigen sich mit den Ereignissen im Dezember ’89, der (Theater-)Revolution. „12:08 East of Bucharest“ von Corneliu Porumboiu tut das auf eine sehr kluge, teils wahnsinnig komische Weise. Der Film spielt in der Provinz. 16 Jahre nach der „Revolution“ veranstaltet der eitle Besitzer eines rührenden Provinzfernsehsenders mit seinen Gästen – einem trinkenden Schullehrer und einem einsamen Pensionär – eine Talk-Show. Es geht um die Frage, ob es ’89 eine Revolution gegeben habe oder nicht; ob die Menschen in der Provinzstadt also vor der Flucht Ceausescus um 12:08 Uhr oder erst danach demonstrierten. Die Schauspieler des Films, die sonst in Provinztheatern spielen, sind unglaublich gut. Der Film ist wunderbar komisch, gerade im Detail, ohne dabei je zynisch oder aufdringlich zu werden.

In „The Paper will be blue“ von Radu Muntean geht es um die Verwirrungen und Unklarheiten am 22. Dezember ’89, also um die Frage, wer gegen wen steht und was überhaupt passiert. Erzählt wird von der Nacht davor. Die Rekruten in einem Panzerwagen in der Vorstadt versuchen, die Ordnung aufrechtzuerhalten – was schwierig ist, da nicht klar ist, wer auf welcher Seite steht. Ein Rekrut schlägt sich auf die Seite der Aufständischen und wird von diesen später festgenommen. In gewisser Weise ist „The Paper will be blue“ die Spielfilmvariante von Harun Farockis großem Dokumentarfilm „Videogramme einer Revolution“ (1992) über dieselben Ereignisse.

In Cottbus habe ich mich zum ersten Mal bei einem Filmfestival nicht über die Entscheidungen der Jury geärgert.