WG mit Tante Daniele

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) will generationsübergreifende Wohnprojekte fördern. Moment mal, war das Mehrgenerationenhaus ursprünglich nicht eine grüne Idee?

VON MARTIN REICHERT

Trendsetter in der Altenpolitik – Alter und Trend, geht das? Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen hat ein Mehrgenerationenhaus in Salzgitter eröffnet. Das Haus des SOS-Kinderdorfwerkes in Salzgitter-Bad, entstanden aus einem 1980 gegründeten Mutterzentrum und bereits Projekt der Weltausstellung Expo 2000, ist der erste Baustein eines rund 98 Millionen Euro schweren Bundesprogramms „Mehrgenerationenhäuser – Starke Leistungen für jedes Alter“.

Bis 2010 soll mit diesem Programm, das im Koalitionsvertrag von Union und SPD verabredet worden war, in jedem Kreis und jeder kreisfreien Stadt eine solche Einrichtung gefördert werden. Insgesamt 439 Häuser sollen es einmal werden, rund 59 sind bereits ausgesucht, unter den Trägern wie zu erwarten ein erheblicher Anteil christlicher Prägung. Jedes von ihnen soll mit rund 40.000 Euro im Jahr gefördert werden.

Ursula von der Leyen möchte mit Hilfe generationsübergreifender Wohnprojekte den „Zusammenhalt der Gesellschaft“ verbessern – und bedient sich dabei aus dem Fundus der links-alternativen, grünen Szene, in deren Umfeld sowohl die Idee als auch erste konkrete Umsetzungen dieser Wohnutopie entstanden. Eine simple und schöne Idee: Jung und Alt wohnen unter einem Dach und unterstützen sich gegenseitig nach den jeweiligen Möglichkeiten und Kräften: Die betagte Großmutter strickt Strümpfe, die Oma hütet den noch nicht schulpflichtigen Nachwuchs der berufstätigen Mutter – und umgekehrt bringt der kleine Kevin Großvater Jürgen bei, wie man im Internet surft. Die Bildung einer traditionellen Großfamilie auf freiwilliger Basis – ein romantischer Gegenentwurf zur kalten Moderne mit ihren von gesundheitsschädigender Vereinzelung bedrohten Individuen, und zwar exklusive tatsächlicher familiärer Verpflichtungen: Steht doch die Familie schon lange im Verdacht, nicht etwa die Keimzelle der Gesellschaft, sondern vielmehr der Neurose zu sein.

Ursula von der Leyen steht nun nicht gerade im Verdacht, auf Distanz zum familiären Modell zu stehen. Im Gegenteil: Ihre „Mehrgenerationenhäuser“ sind auch ein weiterer Versuch, das konservative, eigentlich vom Aussterben bedrohte Familienmodell zu retten – es handelt sich um eine Aneignung, die genauer betrachtet gar nicht so abwegig ist: Auch der konservative Grundgedanke beruht schließlich auf einer romantischen Verklärung der Großfamilie. Gleichzeitig werden mit Hilfe dieser Projekte reproduktive Ziele verfolgt. Laut von der Leyen sollen die Mehrgenerationenhäuser helfen, Familie und Beruf zu vereinbaren, Kinder früh zu fördern und für den Einstieg in den Beruf zu qualifizieren. Dies eben auch unter besonderer Einbeziehung der „Silver Economy“ – der Wirtschaftskraft, der Erfahrung und der Zeit der Alten. Ursula von der Leyen macht die fröhlich-kunterbunte Wohngemeinschaft für das konservativ-utilitaristische Milieu anschlussfähig. Da wird dann „soziales Kapital“ aktiviert und ein „lokaler Markt für Dienstleistungen“ etabliert. Hört sich doch schon ganz anders an als Töpferwerkstatt und Bio-Gemüsegarten im Hinterhof.

Bei den geförderten Objekten handelt es sich dementsprechend um Projekte, die sich in offizieller Trägerschaft befinden, im Ministerium hat man auch konkrete Ausgestaltungsideen: Ein Café soll warme Mahlzeiten anbieten und „Brett- und Kartenspiele“ (und womöglich die ein oder andere Bibel) bereithalten – für nachtaktive Demenzkranke sogar rund um die Uhr. Ein schwarzes Brett wird zur „Dienstleistungsbörse“, in der „Seniorenakademie“ sollen beispielsweise PC-Kurse angeboten werden.

Inwiefern die zukünftigen Träger in der Lage sein werden, dieses Projektvorhaben befriedigend umzusetzen, ist noch nicht absehbar. Mehrere Generationen in friedlicher Eintracht unter einem Dach? Vertragen kommt eben auch von ertragen – und wer glaubt, dass eine selbst gebastelte Großfamilie weniger belastend ist als die Herkunftsfamilie, irrt mitunter. Die hehren, solidarischen Verpflichtungserklärungen können schnell zur Last werden, und nicht jede Großmutter ist tatsächlich liebenswert. So wie nicht alle Gören notwendig „süß“ sind. Die Utopie einer „Alters-WG“ oder des generationsübergreifenden Wohnens treibt besonders jene um, die keine eigene Familie gegründet haben oder sich Sorgen machen, dass ihr Nachwuchs vielleicht später andere Pläne hat. Es ist die Angst vor der Vereinsamung im Alter, die den jetzt noch im Berufsleben stehenden Menschen im Nacken sitzt – ganz gleich welcher politischen Überzeugung sie sein mögen. Doch ob nun rechts oder links, eine Erkenntnis hat sich flächendeckend durchgesetzt: Ein eigenes Badezimmer und eine eigene Küche sind ein Muss, gleich ob Landkommune oder Mehrgenerationenhaus.