In der Falle von Bastian B.

In einer Emsdettener Realschule schießt ein 18-Jähriger um sich. Auf seinem Computer hat er zuvor alles durchgespielt

„Das war eben ein durchgeknallter Spinner“, sagt ein Mitschüler entschuldigend

AUS EMSDETTEN RALF GÖTZE

Der Grundriss passt. Die Räume sind haargenau nachgebaut. Nur die Hecke sollte am besten noch gestutzt werden, raten die „Counterstrike“-Mitspieler im Onlineforum. Ansonsten sei die von Bastian B. angefertigte digitale Nachbildung der Emsdettener Geschwister-Scholl-Schule (GSS) perfekt, gratulieren die Ballerspielfreunde. Täglich spielt der 18-Jährige das Computerspiel um seine alte Realschule. Unter dem Pseudonym „schlossherr“ stellt er sie sogar zum Download ins Internet. Das ideale Trainingsgelände für einen Amoklauf. Gestern setzte er ihn in die Tat um.

Mit zwei abgesägten Gewehren unter seinem schwarzen Langmantel betritt er in der ersten großen Pause den Hof der münsterländischen Realschule. Sein Gesicht hat er mit einer Sturmhaube bedeckt, aber der schwarze Irokesenschnitt ist vielen Schülern noch bekannt. „Der Psycho macht sicher gleich einen Amoklauf“, sagt der 15-jährige Ismael zu seinen Klassenkameraden. Dann schießt er um sich. „Ich dachte erst, einer hätte Böller gezündet“, erinnert sich die 14-jährige Miriam. Dann bricht Panik aus. Miriam flüchtet wie viele 700 Jugendlichen ins Schulgebäude – direkt in die Falle von Bastian B. Hier kennt „schlossherr“ jeden Winkel.

Allerdings treffen da bereits die ersten örtlichen Polizeibeamten ein. Sechs Minuten nach dem Notruf. Statt lediglich Absperrbänder zu ziehen und auf das Sondereinsatzkommando aus Münster zu warten, gehen sie direkt auf das Gebäude zu. Der 18-Jährige weicht auf die oberen Stockwerke aus. Aus dem Jäger wird der Gejagte. Im zweiten Obergeschoss tappen die Emsdettener Polizeibeamten schließlich in seine Falle. Mehrere Rauchbomben vernebeln nicht nur die Sicht, sie blockieren auch die Atemwege. Insgesamt 14 Einsatzkräfte der Emsdettener Polizei müssen anschließend ins Krankenhaus, doch sämtliche Schüler konnten aus der Pausenhalle fliehen. Als die Sondereinsatzkräfte eintreffen, finden sie den mutmaßlichen Täter tot auf dem Flur.

„Durch eine Polizeipatrone ist er sicherlich nicht gestorben“, sagt der Münsteraner Polizeipräsident Hubert Wimber, „wir gehen bisher davon aus, dass er sich umgebracht hat.“ Eine genauere Obduktion ist noch nicht möglich. Am Körper des ehemaligen Schülers sind mehrere Sprengfallen angebracht. Selbstgebastelte Rohrbomben. Das Gelände wird weiträumig evakuiert.

Draußen Blaulicht und Hektik. Mehrere Krankenwagen verlassen das Schulgelände. Das nächste Hospital liegt an der gleichen Straße, gerade mal 200 Meter entfernt, aber für insgesamt 25 Verletzte muss Hilfe aus dem Umland angefordert werden, denn neben den vierzehn Polizeibeamten hat es auch noch neun Jugendliche, eine schwangere Lehrerin und den Hausmeister erwischt, sagt Einsatzleiter Hans Volkmann. Zwei haben schwere Schussverletzungen, aber keiner schwebe in Lebensgefahr. Angesichts einer stattlichen Zahl von Verletzten darf er natürlich nicht vom Glück im Unglück sprechen, aber die ersten offiziellen Äußerungen lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass bei dieser Ausgangslage noch ein viel schlimmeres Blutbad denkbar wäre.

„Allgemeiner Lebensfrust“, nennt der Münsteraner Oberstaatsanwalt Wolfgang als erstes Tatmotiv. Hinweise darauf gebe ein Abschiedsbrief auf Bastians B. mittlerweile gesperrter Homepage. Auch seine Schulkameraden beschreiben ihn als Einzelgänger. Nur in der digitalen Counterstrike-Community habe er ein Zuhause gehabt. Selbst seine maßstabgenaue Nachbildung der Geschwister-Scholl-Schule war vielen bekannt. „Ich habe sie sogar schon einmal gespielt“, sagt ein blonder, 14-jähriger Junge. „Da stimmt alles. Selbst im Informatikraum stehen die Rechner alle am richtigen Platz, und Schüler sitzen davor.“ Verdacht habe er trotzdem nicht geschöpft. „Das war eben ein durchgeknallter Spinner“, sagt er entschuldigend – und weiß spätestens jetzt, dass er lieber anonym bleiben will.

Heute hätte sich Bastian B. vor Gericht verantworten müssen. Anklagepunkt: illegaler Waffenbesitz.