Boomtown der Karpaten

Wenn sich Sibiu/Hermannstadt im nächsten Jahr als Europäische Kulturhauptstadt 2007 präsentiert, dann wird an den Aktivitäten vor Ort auch die EU-Tauglichkeit Rumäniens gemessen werden

von BRIGITTA GABRIN

Noch prägen gelbe Bagger das Stadtbild der rumänischen Stadt Sibiu/Hermannstadt. Doch schon in zwei Monaten soll dort gleich doppelt gefeiert werden: einmal der EU-Beitritt und dann auch die Eröffnung des Europäischen Kulturhaupstadtjahres. Die 180.000-Einwohner-Stadt in Transsilvanien/Siebenbürgen wurde neben Luxemburg und deren benachbarter Großregion zur Europäischen Kulturhauptstadt 2007 ernannt. Und zwar schon 2004 – ein Jahr, bevor Rumäniens Beitritt zur EU feststand. Bei der Entscheidung des EU-Kulturministerrates spielte die gemeinsame Geschichte Siebenbürgens mit Luxemburg eine Rolle – die ersten Siedler im 12. Jahrhundert kamen aus Luxemburg –, aber auch die Tatsache, dass Hermannstadt schon seit Jahren als „Wirtschaftswunder in den Karpaten“ gilt. Nicht zuletzt dank des rumäniendeutschen Bürgermeisters Klaus Johannis, der es geschafft hat, innerhalb der letzten sechs Jahre das Haushaltsvolumen der Stadt zu verfünffachen.

Nächstes Jahr nun will sich Sibiu mit 220 Projekten und über 1.000 Events aufs große Parkett der europäischen Kultur wagen. Zum Beispiel mit dem drittgrößten Theaterfestival Europas oder der „Philharmonie der Nationen“, deren außergewöhnliches Orchester in der Sylvesternacht den Auftakt geben wird. Getreu dem gewählten Motto „ City of culture – city of cultures“ ist das Programm europäisch-international und soll auch den Kulturenmix der Stadt widerspiegeln: Neben vielen Projekten mit Luxemburg, Österreich, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden wird sich auch die ungarische Community mit einem 8-tägigen Kulturfestival präsentieren; zudem sind Ausstellungen und Konzerte mit und über Roma geplant – ein wahrer Fortschritt für ein Land, das im Umgang mit dieser Minderheit die größten Probleme hat.

Hauptbühne der Veranstaltungen soll die Altstadt von Sibiu werden, die mit ihren gotischen Kirchen, Barockpalästen und mittelalterlichen Ringmauern als Kulisse passt. Allerdings ist es immer noch ein riesiges Stück Arbeit, das Viertel von den grauen Spuren der Armut und des Sozialismus zu befreien. Ganze Straßenzüge wurden von Grund auf saniert, seit zwei Jahren ist die Stadt eine einzige Baustelle, auf der sogar nachts gearbeitet wird – ein absolutes Novum für Rumänien.

Die Sanierung hatte schon Anfang der 90er-Jahre unter anderem mit Hilfe der GTZ (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) begonnen. Momentan bezahlt die Stadt und eine extra fürs Europäische Kulturhauptstadtjahr gegründete Gesellschaft eine Hälfte der Sanierungskosten, die andere trägt das Land. Das sind ca. 30 Millionen Euro, doppelt so viel, wie die rumänische Regierung anderen Städten zur Vorbereitung auf die EU-Mitgliedschaft bereitstellt.

Eine Großzügigkeit, die der Hauptstadt Bukarest wohl schwerfällt. Denn sie stellt damit nicht nur eine Stadt ins Rampenlicht, in der die gerade mal ein Prozent umfassende deutsche Minderheit den Ton angibt, sondern riskiert auch den eigenen zentralistischen Status zu verlieren, der in der Ceaușescu-Ära enorme Dimensionen angenommen hatte. Überhaupt ist die Kommunikation zwischen der rumänischen Kapitale und der Europäischen Kulturhauptstadt 2007 vergleichbar mit der Verkehrsanbindung: der schnellste Zug zwischen Bukarest und Hermannstadt hat eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 Kilometer pro Stunde.

Offiziell wird das schlechte Verhältnis nicht thematisiert, auch wenn es für die Folgen immer wieder Beispiele gibt: etwa kürzlich das wütende Aufbrausen des Kulturministers Adrian Iorgulescu, weil die von Sibiu beauftragte PR-Agentur „GAV, Scholz & Friends“ angeblich nichts für das viele an sie bezahlte Geld getan hätte. Der Vorwurf wurde wiederum just an dem Tag laut, als die Firma ihre sehr professionelle Imagekampagne gerade in Straßburg präsentierte.

In einem sind sich aber alle einig. Das Kulturhauptstadtjahr ist für Rumänien so etwas wie eine Generalprobe zur vollberechtigten EU-Mitgliedschaft. Eine Art kulturelle Ouvertüre, die eine nachhaltige Entwicklung für die Region in Gang setzen soll. Schon jetzt ist Sibiu eine Vorzeigestadt für Rumänien, und es ist anzunehmen, dass sie als Investitionsstandort im nächsten Jahr noch mehr ins Visier der EU-Staaten rücken wird. Auch die Tourismusbranche dürfte von den Feierlichkeiten profitieren: 2007 rechnet die Stadt mit etwa 400.000 bis 500.000 zusätzlichen Touristen, doppelt so viele wie sonst.

Unter allen Bereichen wird sich natürlich am meisten die kulturelle Infrastruktur der Stadt verbessern – es fragt sich nur, wie viel Kultur die Stadt auf Dauer verträgt? Immerhin leben rund 30 Prozent der rumänischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze; und selbst wenn es den Bewohnern in Sibiu etwas besser geht als dem Rest des Landes, brauchen auch sie zwei bis drei Jobs, um sich einen recht bescheidenen Lebensstandard zu sichern.

Große Hoffnungen setzen deshalb nicht nur die Regierenden in eine nachhaltige, festere Anbindung an Deutschland. Susanne Kastner, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Vorsitzende der Deutsch-Rumänischen Parlamentariergruppe, hegt diese Hoffnung selber und schätzt sie auch als durchaus realistisch ein: „Der Handel zwischen Rumänien und Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren verdoppelt, 120 deutsche Unternehmen haben in Hermannstadt eine eigene Niederlassung. Es wurde höchste Zeit, dass sich endlich auch auf kultureller Ebene mehr tut. Und einmal geschlossene Projektpartnerschaften werden selten gleich wieder aufgegeben.“

Ein Teil der Investoren aus Deutschland sind die sogenannten Rückkehrer, ehemals ausgewanderte Siebenbürger. Ob sie bleiben werden, machen viele von der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Rumänien abhängig. Im Gegenzug haben sehr viele Rumänen in Sibiu längst die deutsche Sprache gelernt. Schon zu Zeiten des Sozialismus galt als besonders modern, wer sein Kind auf ein deutsches Gymnasium schickte. Und selbst während der Massenauswanderungen in den 70er- und 80er-Jahren mussten deutsche Schulen nicht über sinkende Schülerzahlen klagen. Auch im deutschen Madrigalchor singen vor allem Rumänen. Dort werden im Augenblick bereits Wetten abgeschlossen, ob „der Johannis es schaffen wird, bis Silvester alle Baugruben zu stopfen“. Die wenigsten halten dagegen, denn sie alle glauben an ihren Bürgermeister, schließlich haben sie ihn ja gewählt.