„Jeder in Afghanistan hat Angst“

Der Bremer Rechtsanwalt und gebürtige Afghane Karim Popal bildet in seinem Heimatland Juristen aus. Gerade ist er von seiner vierten Reise zurück gekehrt. Abschieben könne man in das Land nicht, sagt er. Dazu sei es noch zu unsicher

INTERVIEW: EIKEN BRUHN

taz: Herr Popal, Sie waren in den vergangenen zwei Jahren vier Mal in Afghanistan, sind gerade von einer dreiwöchigen Reise zurück. Was hat sich im Laufe der Zeit verändert?

Karim Popal: Nichts, nichts, nichts! In Kabul gibt es für die Mehrheit der Bevölkerung keine Elektrizität, kein Wasser, keine Kanalisation. Für Sicherheit kann niemand garantieren, weswegen ich nicht verstehe, wie man in dieses Land abschieben kann. Das Einzige, was sich verändert hat, sind die großen Hochhäuser der korrupten Kriegsgewinnler, die dort Geld investiert haben, das für die Bevölkerung gedacht war. Ihre Hochhäuser sollen eigentlich glänzen, aber das können sie nicht, weil die Straßen nicht asphaltiert sind und die vielen Autos den Staub hochwirbeln.

Waren Sie nur in Kabul?

Ja, leider. Als ausländische Delegation waren wir im Hotel Continental in Kabul untergebracht. Aus Sicherheitsgründen durften wir nicht allein in die Stadt, auch nicht auf den Basar, was ich sehr bedauert habe. Ich habe aber abends Politiker getroffen.

Was haben die Ihnen erzählt?

Sie glauben, dass die USA den Präsidenten Hamid Karsai bald ersetzen werden, dass sie ihn für zu schwach halten, um die Probleme des Landes zu lösen. Das steht auch in der Zeitung Kabul Weekly.

Wie stark sind die Taliban im Land?

Der Süden gehört ihnen. Ein Parlamentarier aus der Provinz Helmand hat in einem Fernsehinterview erklärt, dass er seit acht Wochen nicht in seine Heimat reisen kann, weil dort die Taliban herrschen und die Regierung dort nichts zu sagen hat. Das Gleiche gilt für seine Kollegen aus der Provinz Kandahar.

Die Nato drängt Deutschland, sich an einem Militäreinsatz in der Region zu beteiligen.

Das wäre das Schlimmste, was die deutsche Regierung machen könnte. Dann wäre das hohe Ansehen, das die Deutschen immer noch in Afghanistan haben, verspielt, dann wären wir genauso verhasst wie die Amerikaner.

Hat das nicht schon die Schädel-Affäre erreicht?

Nein, es kursieren auch Gerüchte, dass die Fotos von den Amerikanern gemacht worden seien.

Haben Sie noch Hoffnung, dass sich die Zustände bessern?

Ja, die letzte Reise hat mich sehr glücklich gemacht. Im nächsten Monat können nach einer vierjährigen Ausbildung 178 neue Richter – darunter glücklicherweise 20 Frauen – eingestellt werden. Ich habe diese Leute mit meinen Kollegen unterrichtet. Sie gehören zu einer neuen Generation, sind zwischen 25 und 30 und wissen genau, was ihre Rechte sind. Sie lassen sich von niemand etwas sagen und sind unabhängig, ganz anders als die, die das davor gemacht haben. Das ist ein Geschenk an die afghanische Bevölkerung.

Warum? Arbeitsplätze können die auch nicht schaffen.

Nein, aber vor dem Gesetz sind eben alle gleich, dann kann auch Korruption wirkungsvoll bekämpft werden. Afghanistan hat ein wunderbares Strafgesetzbuch bekommen, es gibt Gesetze, die Kinder und Frauen schützen. Ich wünsche mir, dass eines Tages in Afghanistan die Gesetze regieren anstelle von Amerikanern und Warlords. Derzeit sagen uns die Richter und Staatsanwälte, die wir ausgebildet haben, aber noch: „Sie bringen uns hier etwas über Rechtsstaatsprinzipien bei und über Menschenrechte, aber was machen wir, wenn amerikanische Soldaten vor unseren Augen Leute verhaften, und wir wissen nicht, wohin die gebracht werden?“

Gibt es noch andere Schwierigkeiten für die Richter – haben Sie Angst vor Anschlägen?

Angst hat in Afghanistan jeder. Für die Richter gibt es ein zusätzliches großes Problem. Sie befürchten, dass sie ihre Unabhängigkeit nicht wahren können, weil ihr Gehalt so schlecht ist. Sie bekommen 50 Dollar im Monat, dabei kostet eine Wohnung ohne Strom schon 100 Dollar. Ein Wachmann vor der amerikanischen Botschaft verdient immerhin 200 Dollar. Die wirtschaftliche Lage zwingt die Richter, sich etwas dazuzuverdienen.