Keule gegen NPD-Gegner

In Bremen demonstrierten tausende Bürger gegen die NPD – und erlebten, wie die Polizei ohne Grund Minderjährige schwer misshandelte. Augenzeugen haben jetzt eine Dokumentation erstellt

AUS BREMENKLAUS WOLSCHNER

Augenzeugen des Polizeieinsatzes bei der Anti-NPD-Demonstration am 4. November in Bremen haben gestern schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben. Insbesondere Jugendliche wurden ohne erkennbaren Grund durch Stoßtrupps des Bundesgrenzschutzes aus der Demonstration herausgegriffen. In mehreren Einzelfällen haben ältere Demonstrationsteilnehmer detailliert beobachtet – und in ihren Augenzeugenberichten beschrieben – wie Jugendliche danach von mehreren Polizeibeamten windelweich geschlagen wurden. Fotografen haben in verschiedenen Situationen dokumentiert, wie Pfefferspray ohne erkennbaren Grund auf friedliche Demonstranten gesprüht wurde.

In einem Fall wurde ein hilflos von zwei Polizisten festgehaltener Mann mit dem „Genickdrehhebel“ malträtiert – ein lebensgefährlicher Griff, vor dessen Einsatz Selbsthilfe-Kampfgruppen ausdrücklich warnen, da die Anwendung außerhalb absoluter Notwehrsituationen strafrechtlich geahndet werden könne. Die Spezialeinheit KSK lernt den „Genickdrehhebel“ als Griff für Nahkampfsituationen, mit dem man Gegner ausschalten kann. Auf einem Video-Film, der bei der Pressekonferenz der Augenzeugen gestern vorgeführt wurde, ist die Szene vollständig zu sehen: Ganz offensichtlich lag der junge Mann schon wehrlos am Boden. Ein Polizist hielt ihn an den Beinen fest, der andere nahm ihn am Oberkörper hoch, griff dann mit beiden Händen den Kopf und riss ihn ruckartig um 90 Grad zur Seite. „So etwas darf in Deutschland nicht passieren“, erklärte die Augenzeugin und gelernte Krankenschwester Regine Gaeredts empört. „Dabei kann man das Genick brechen.“

Ulrich Böhme, Rentner und ehemaliger Angestellter der Stadtbibliothek, hat beobachtet, wie zwei Polizeibeamte auf einem, seiner Schätzung nach, 14-Jährigen knieten, während ein Dritter drauflos knüppelte. Umstehende Erwachsene waren empört, der Vater des Jungen stürzte sich dazwischen – „und wurde ebenfalls verdroschen“, berichtet Augenzeugin Hedda Weiß. Offenbar reagierten die Polizeibeamten auf die Empörung – und schafften den Jungen in den Garagenhof, außer Sichtweite. Minuten später sei er von mehreren Polizisten „wieder hinausgetragen worden“, berichteten Augenzeugen. Insbesondere ausländisch aussehende Jugendliche seien gezielt aus der Demonstration herausgegriffen worden, berichteten Augenzeugen. Die Bremer Polizeiführung rechtfertigte bisher die Eingriffe mit dem Argument, die Polizeikette an der Grasberger Straße sei von „Autonomen“ durchbrochen worden.

Das ist unwahr, wie sich aus einem Video der Geschichtswerkstatt ergibt, die die Szene festgehalten hat: Die Polizei hatte eine einfache Kette als Sperre aufgestellt, und als die Demonstration an dieser Sperre angelangt war, machten die Beamten auf dem Bürgersteig Platz. Dort sickerten Demonstranten in Gruppen durch – und als dann hunderte hinter der Polizeikette standen, zog die Polizeikette ab. Ein gewaltsames Vorgehen der Demonstranten ist auf dem Video-Film nicht erkennbar.

Auch der Lautsprecherwagen der Demonstration wurde mit CS-Gas eingenebelt, Polizisten durchtrennten Kabel mit Messern – obwohl, wie die Augenzeugen berichteten, vom Lautsprecherwagen aus immer wieder Appelle zur Beruhigung der Lage durchgegeben wurden.

Bei den Augenzeugen handelt es sich ausschließlich um ältere Menschen, die empört über das Verhalten der Polizei gegenüber den Minderjährigen sind. Regine Gaeredts, die mit ihrem kleinen Sohn an der Hand auf der Demonstration war, hatte etwa einen von sieben Polizisten in einen Hauseingang getriebenen Jugendlichen vom Bürgersteig aus laut gefragt, ob sie seine Eltern benachrichtigen solle. Woraufhin die Polizisten die Muter angingen. „Sie drohten mir an, mich sofort in Polizeigewahrsam zu nehmen, wenn ich mich nicht unverzüglich entfernen würde.“ Offensichtlich wollten sie keine Zeugen haben.

Dokumente siehe www.mehr-dazu.de