Land unter in Ostafrikas Dürreregion

Verheerende Regenfälle im eigentlich trockenen Norden Kenias und Süden Somalias haben hunderttausende Menschen obdachlos gemacht, die Toten zählt schon keiner mehr. Die Versorgung der Flutopfer ist logistisch so gut wie unmöglich

AUS NAIROBIMARC ENGELHARDT

Wenigstens die Kinder freuen sich über die schlammigen Pfützen. Bis zu den Schultern stecken sie in braunen Wassermassen, während Erwachsene vollgesogene Decken, Kisten oder Säcke durch die Fluten balancieren. Viele der 160.000 Somalis, die vor Warlords oder Islamisten in ihrem Heimatland nach Dadaab im Norden Kenias geflohen waren, sind jetzt wieder auf der Flucht – vor dem Hochwasser.

„Teile des größten Camps von Dadaab stehen unter Wasser“, berichtet Stephanie Savariaud vom UN-Welternährungsprogramm WFP. „Viele Familien bauen sich jetzt Behelfsunterkünfte auf Hügeln oder an der Hauptstraße, die etwas höher liegt.“ Angst vor Verkehr müssen die Flüchtlinge dabei nicht haben. Die einzige Piste nach Süden ist weggespült. „Die Vorräte in unserem Lager reichen noch ein paar Wochen, bis dahin müssen wir die Straße repariert haben“, seufzt Savariaud. Seit drei Tagen hat der Regen nachgelassen, aber Metereologen sagen weitere schwere Regenfälle bis Mitte Dezember voraus, wenn nicht gar bis in den Februar 2007. Die Menschen im Lager sammeln eilig Feuerholz, während dunkle Wolken sich am Himmel sammeln.

Die Flutkatastrophe in Teilen Kenias und Somalias gilt als möglicherweise schlimmste in 50 Jahren. Jeden Tag berichten Kenias Zeitungen von neuen Leichen, die irgendwo angeschwemmt werden. Bauern, die nach drei Jahren Dürre ohnehin kaum noch etwas hatten, verlieren ihr letztes Vieh in den Fluten. „Wir haben rund um die Städte Garissa und Wajir ganze Dörfer, die wegen der Dürre seit September auf Nahrungshilfe warten und sie nicht bekommen, weil sie von den Fluten eingeschlossen sind“, sagt Savariaud. Garissa, mit 80.000 Einwohnern die größte Stadt im Norden Kenias, steht unter Wasser, nachdem die Fluttore eines Damms am nahen Tana-Fluss geöffnet werden mussten. Der Wasserdruck ist so groß, dass die Behörden trotzdem einen Bruch des Damms befürchten. Das wäre ein Todesstoß für die Trinkwasser- und die auf Wasserkraft basierende Stromversorgung in ganz Kenia.

Im Süden Somalias, wo die Flüsse Shabelle und Juba bereits hunderte Dörfer überspült haben, zählt niemand mehr die Toten. „Menschen sind mit ihren Familien und ihrem Vieh auf Hügel geflüchtet, die zu Inseln geworden sind“, berichtet Abdullahi Ali Hassan vom somalischen „Zentrum für Ausbildung und Entwicklung“. Manche hätten es noch in den Wipfel eines Baumes geschafft und harrten dort seit Tagen aus. „Wenn wir diese Menschen nicht sofort von Booten aus versorgen, werden sie verhungern, oder sie ertrinken, wenn sie zu fliehen versuchen.“

Doch Boote und vor allem Bootsführer für die unberechenbaren Ströme zu bekommen, ist schwer, warnt James Lorenz vom Hilfswerk „Ärzte ohne Grenzen“. Dazu kommt, dass Krokodile im Wasser schwimmen und Milizen die Gegend unsicher machen. „Im Moment sind wir ziemlich hilflos. Selbst unsere eigenen Leute sind in ihrem Krankenhaus in Marare 80 Kilometer von Kismayo von den Fluten eingeschlossen. Da geht nichts mehr.“

Entlang dem Juba-Fluss sind bereits die ersten Cholerafälle aufgetreten. Viele Brunnen sind vom Flusswasser verseucht, in dem Tierkadaver treiben. Außer Nahrung müssen deshalb auch Medikamente in den Süden Somalias gelangen, wo es seit 15 Jahren keine Regierung mehr gibt. Wie genau, darüber zerbrechen sich Logistiker die Köpfe. Auch mehr als 300.000 Plastikplanen des Roten Kreuzes können derzeit nur in der Shabelle-Region rund um die Hauptstadt Mogadischu verteilt werden, wo es noch Straßen gibt. Doch auch dort sind die ersten Dämme gebrochen. Das Wasser steigt.