DAS „GEMEINSAME WORT“ DER KIRCHEN IST MUTLOS UND ZU NEOLIBERAL
: Ein Lob der Demokratie

Es ist ein großes Lob für die Demokratie in Deutschland, ja sogar – mit ein paar Einschränkungen – für die sonst so viel geschmähte Parteiendemokratie an sich. Die evangelische und die katholische Kirche haben mit ihrem „Gemeinsamen Wort“ unter dem etwas tantigen Titel „Demokratie braucht Tugenden“ zwar eine sanfte Strafpredigt gehalten. Insgesamt aber kann die Schrift eher als ein sportlicher Klaps gewertet werden, etwa nach dem Motto: Es ist nicht alles Gold hier, aber wir schaffen das.

Die Autorinnen und Autoren der Schrift haben dabei darauf verzichtet, deutliche Empfehlungen für die Tagespolitik zu formulieren. Allerdings sind zwischen den Zeilen dann doch ein paar klare Aussagen zu entdecken. Und die gehen alle in eine Richtung: Unterstützung der Sozialreformen, unter denen so viele Menschen in Deutschland leiden. Diese Position kann man, beispielsweise in Hinblick auf zukünftige Generationen, teilen – zwingend ist sie jedoch nicht für die Kirchen, die laut Evangelium schließlich vor allem für die Mühseligen und Beladenen da sein sollen.

Vor neun Jahren hatten die beiden Großkirchen mit ihrem so genannten Sozialwort schon einmal das große Ganze dieser Republik und die notwendigen Veränderungen im Blick gehabt. Dieser Text war von fast allen Seiten viel gelobt worden und hatte eine nicht unbeträchtliche Wirkung entfaltet, gerade weil er den Mut zu sehr konkreten, auch kritischen Aussagen hatte. Das jetzige Wort der Kirchen dagegen verliert sich etwas zu sehr im, überspitzt gesagt, neoliberal gefärbten Ungefähren – und dürfte so schneller vergessen werden als das „Sozialwort“.

Gut möglich, dass auch die großen Kirchen etwas von der lähmenden Atmosphäre erfasst wurden, die die Politik in Deutschland in den vergangenen Monaten unter der großen Koalition erfasst hat. Von der Wucht der mahnenden Stellungnahmen der Kirchen etwa in Sachen Nachrüstung vor rund 20 Jahren sind die großen Glaubensverbände weit entfernt. Das derzeitige Wort mag deshalb passen für ein Grundseminar Politik und dient durchaus der politischen Erbauung. Zu mehr aber hat offenbar der Mut gefehlt. PHILIPP GESSLER