Sigmar Gabriel kassiert sein Klimaziel

Der Bundesumweltminister will weniger Zertifikate für Kohlendioxid-Emissionen ausgeben als noch im Sommer geplant. Das neue Konzept reiche aber nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen, meinen Kritiker – sie wollen die Lizenzen versteigern

von CHRISTIAN HONNENS

Der Druck auf Industrie, Energieversorger und den Bundesumweltminister steigt: Sigmar Gabriel (SPD) hat gestern angekündigt, dass die Regierung künftig deutlich weniger Zertifikate für die Emission von klimaschädlichem Kohlendioxid ausgeben will. Für den Zeitraum zwischen 2008 und 2012 sollen statt wie ursprünglich geplant 482 Millionen Tonnen CO2 nur noch 465 ausgestoßen werden dürfen. „Das ist eine drastische Reduktion und daher ein ambitioniertes Ziel“, sagte Gabriel.

Opposition und Umweltverbände begrüßen die verringerte Ausstoßmenge. Sie glauben aber nicht, dass die Pläne für den Nationalen Allokationsplan 2 (NAP 2) ausreichen, um die deutschen Klimaziele zu erreichen. Sie fordern daher, die „zahlreichen Schlupflöcher“ zu schließen.

Der neue Entwurf zum NAP2 war nötig geworden, weil die EU-Kommission erste Pläne, die der Umweltminister im Sommer in Brüssel vorgelegt hatte, als nicht ausreichend kritisiert hatte.

Sie hätten auf alten Zahlen beruht, erklärte Gabriel gestern. „Diese erweisen sich nun im Lichte der tatsächlichen Emissionsentwicklung als deutlich zu gering, um unsere Verpflichtungen nach dem Kioto-Protokoll zu erfüllen“, sagte er. Nun sollen Industrie und Energiewirtschaft jährlich 26,5 Millionen Tonnen weniger CO2 ausstoßen als im Durchschnitt der Basisjahre 2000 bis 2002. Im alten Entwurf hatte Gabriel nur eine Minderung von 15 Millionen Tonnen festgelegt.

Allerdings kündigte der Bundesumweltminister auch an, dass er bei seiner Ausnahmeregelung für neue Kraftwerke bleiben wolle. Neue Anlagen müssen ihren CO2-Ausstoß 14 Jahre lang nicht verringern. Die EU-Kommission hält das für wettbewerbsverzerrend, andere Länder hätten diese Regelung nicht.

Kritik kommt auch von Opposition und Umweltverbänden. Eva Bulling-Schröter von der Linkspartei forderte Gabriel auf, die Pläne zu überdenken, weil sie kleine Stadtwerke stärker belasteten als die Großkonzerne RWE, Eon und Co. Nach Ansicht von Greenpeace fördert der Entwurf mit dieser Ausnahme besonders „klimazerstörende Braunkohlekraftwerke“. Effektiver Klimaschutz sehe anders aus.

Die Grünen halten die neuen NAP2-Pläne für völlig unvereinbar mit Deutschlands Klimaziel, bis 2020 für 40 Prozent weniger CO2-Emissionen verantwortlich zu sein. „Die kohlefreundliche Regelung ist ein krasser Fehlanreiz“, sagte Grünen-Experte Reinhard Loske. Die Deutsche Umwelthilfe urteilte: Gabriels neuer Entwurf sei ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings müssten die Schlupflöcher gestopft werden, damit es auch bei einem Ausstoß von 465 Millionen Tonnen CO2 bleibe.

Gemeinsam mit den Grünen fordert die Umwelthilfe eine Versteigerung der Emissionsrechte, die bisher verschenkt werden. Das habe ein viel stärkere klimapolitische Lenkungswirkung, begründete DUH-Geschäftsführer Rainer Baake. Mit den Einnahmen müsse die Stromsteuer gesenkt werden. Die Verbraucher würden dann sogar weniger zahlen, weil die Stromkonzerne den Wert der geschenkten Zertifikate schon heute in ihre Preise eingerechnet haben.

Auch in der Regierungskoalition wird der Ruf nach einer Auktion der Ausstoßlizenzen immer lauter. Nachdem sich die Union in dieser Woche schon in der Haushaltsdiskussion im Bundestag für eine Versteigerung ausgesprochen hatte, steigt nun der Druck auf Gabriel auch in der SPD, bestätigten Fraktionskreise. Es gebe sogar ein internes Papier eines Teils der Fraktion, das diese Variante favorisiere.

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