Nur nicht an den Arbeitsmarkt denken

Der Professor Jochen Hörisch schreibt sich seinen Frust über die Hochschulen von der Seele. Er trauert einer idealisierten Alma Mater nach und verkennt die Chancen der Universitäten

Der Autor gehört zu den Hochschullehrern, die gelegentlich ihren Frust über die deutsche Universität durch das Schreiben eines Buches abbauen wollen. Das ist manchmal sogar lesenswert, wenn sich Studenten, Ehemalige und Kollegen in dem Geschriebenen wiedererkennen. Jochen Hörisch ist das streckenweise gelungen – in weiten Teilen besteht sein neues Buch aber nur aus einer germanistischen Vorlesung. Immerhin: Am Ende deutet Hörisch an, wohin sich die deutsche Universität entwickeln wird und sollte.

Für Hörisch ist die „Alma Mater“ selbstverständlich nur die alte europäische Universität. Die allerälteste in Bologna hatte sich ja selbst als „Göttin der Studenten“ bezeichnet: Alma Mater Studiorum. Er übersieht dabei, dass in den USA selbst Highschools Alma Mater genannt werden.

Dafür legt er einen überraschenden Aspekt offen: Kapitel 1 und 2 beschäftigen sich mit den erotischen Aspekten der „Alma Mater“, also damit, worüber bei Müttern in der Regel nicht gesprochen wird. Das innerhalb einer Universität Erotik eine Rolle spielt, ist wenig überraschend. Aber Hörisch konzentriert sich nur auf die homoerotischen Aspekte der Alma Mater, die jahrhundertelang eben nur junge Männer genährt hat. Man kann dabei nicht nur ein wenig über das Klosterleben in Universitäten und in der katholische Kirche lernen, sondern auch jede Menge über Literatur. So über die homoerotischen Fantasien des Teufels in Goethes „Faust“. Was das allerdings mit den heutigen Problemen der Universitäten zu tun hat, erschließt sich dem Leser nicht direkt.

Mit Kapitel 3 beginnt dann Hörischs Lamento: über Massenuniversitäten und Drittmittel, die mit dem Bologna-Prozess (mit dem Europa seine Universitätslandschaft umgestalten und angleichen will) ihren traurigen Höhepunkt erreicht habe. Der Autor belehrt uns zu Recht, dass die diskursive Lehrveranstaltung – das Seminar – in den deutschen Forschungsuniversitäten Humboldt’scher Prägung erfunden wurde – in den mittelalterlichen Hochschulen wurden hingegen nur kanonische Schriften vorgelesen und gepaukt. Diese Hochform des Hochschulunterrichts wird nur noch in amerikanischen Hochschulen richtig gelebt. Leider übersieht Hörisch dabei, dass dies nur für ganz wenige Elite-Hochschulen und nur im Graduiertenstudium gilt. Ansonsten basiert das hochgelobte US-Bildungssystem in der Highschool wie in der Hochschule auf Auswendiglernen. Und damit kommt man zum eigentlichen Problem in Hörischs Hochschulschrift.

Der Autor träumt von einer Massenuniversität, die alle Studierenden so behandelt, wie das die deutsche Forschungsuniversität für vielleicht ein Prozent eines Jahrgangs vor 200 Jahren tat. Damals konnten Professoren auch noch, wie Hörisch schwärmt, bei viel Muße sehr gut bezahlt werden. Er beantwortet allerdings nicht die nahe liegende Frage, ob er selbst denn damals gut genug gewesen wäre, um zu den wenigen privilegierten Ordinarien zu gehören? Oder ob er ein bettelarmer Privatdozent und Hauslehrer geblieben wäre.

Hörisch verkennt auch, dass es für die allermeisten Studierenden eine Qual wäre, wenn sie so ausgebildet würden, als ob sie später selbst Hochschullehrer werden wollten – oder gar Mitglieder der Platon’schen Akademie. Im Gegenteil: Der Unterricht krankt in der Massenuniversität oft gerade daran, dass viele Professoren sich nicht auf die Bedürfnisse einer Ausbildung für den realen Arbeitsmarkt einlassen wollen.

Ganz am Ende des Buches erkennt der Autor schließlich, dass die alte Alma Mater, die ihre Schützlinge akademisch gut nährt, nach wie vor existiert. Aber eben nur für studentische Hilfskräfte und Doktoranden. Und für die werden sich auch wieder traditionelle Strukturen der Alma Mater herausbilden. Davon profitieren dann nur drei bis fünf Prozent eines Jahrgangs und nur jeder zehnte Professor – aber das war ja auch früher nicht anders, wie Hörisch realistisch schätzt. Dennoch weigert er sich zuzugeben, dass genau dafür der Bologna-Prozess und die deutsche Exzellenz-Initiative notwendig sind. Wer jetzt eine Graduiertenschule gewinnt, der kann seinen Doktoranden wieder exzellente Seminarbedingungen bieten.

Aber statt die Bedeutung von Bologna, Drittmitteln und Exzellenz-Initiative anzuerkennen, schwärmt Hörisch am Schluss seines Buches lieber über das gemeinsame Mittagessen der Professoren, die er einer strengen Residenzpflicht unterwerfen will, im „Faculty-Club“. Der Leser kann aus diesem Buch über die Rettung der deutschen Universität nicht viel lernen. Der Lesespaß wäre sicher größer, wenn man einzelne Kapitel im Feuilleton finden und lesen würde. Einige wirklich lesenswerte Gedanken zwischen zwei Buchdeckel zu klemmen, reicht einfach noch nicht, um ein lesenswertes Buch zu produzieren. GERT G. WAGNER

Jochen Hörisch: „Die ungeliebte Universität. Rettet die Alma mater!“. Carl Hanser Verlag, München 2006, 139 Seiten, 14,90 Euro