In der inoffiziellen Welt

Ein scharfer Wind bläst durch die Bilder: In seinem Spielfilmdebüt „Last Resort“ erzählt Pawel Pawlikowski leicht surreal von einer jungen Russin im britischen Asylverfahren

Letzte Zuflucht: Asylverfahren. Eigentlich wollten die Russin Tanja (Dina Korzum) und ihr Sohn in England ein neues Leben beginnen. Aber ihr Verlobter taucht am Flughafen nicht auf, und die Grenzbeamten weigern sich, Tanja ins Land zu lassen. Spontan beantragt sie politisches Asyl. Die beiden werden in ein Aufnahmelager an der Küste verfrachtet, wo sie in einem Hochhausblock den Gang des Verfahrens abzuwarten haben.

Mit feinem Gespür fürs Detail zeichnet Pawel Pawlikowskis Film „Last Resort“ einen Alltag, in dem die einfachsten Dinge umständlich werden. Wie man einen Anruf organisiert, wenn lediglich eine Telefonzelle zur Verfügung steht, die nur Karten akzeptiert und vor der immer eine Warteschlange steht. Wie man auf einer Behörde mit Formularen weiterkommt, nicht jedoch mit guten Argumenten. Wie unterhalb der offiziellen eine inoffizielle Welt besteht, eine Schattenwirtschaft, in der Blut gespendet wird, weil das als einzige Möglichkeit bleibt, um an Geld zu kommen. Mit stoischem Trotz finden sich Mutter und Sohn in dieser Umgebung zurecht, vor allem dank der Hilfe von Alfie (Paddy Considine), der die Maschinen der lokalen Spielarkade betreut.

Als ihr Verlobter ihr per Telefon den Laufpass gibt, wird Tanja klar, dass sie einen Fehler begangen hat. Doch der lässt sich so leicht nicht rückgängig machen: Die Behördenmühlen mahlen langsam, und Mutter und Sohn sehen sich auf unbestimmte Dauer eingesperrt in einem fremden Land – ohne Pass und ohne Rechte. Fluchtversuche scheitern, denn das Gelände wird von Kameras und scharfen Hunden bewacht.

Die Küstenstadt als Endstation. Der Blicks aufs Meer bietet keinen Trost, die Tristesse der Hochhauskulisse wird durch den stillgelegten Vergnügungspark „Dreamland“ nebenan und die Palmentapete in der Wohnung nur unterstrichen. Trotz des scharfen Windes, der durch diese Bilder bläst, zielt Pawlikowski nicht aufs Genre des britischen Sozialrealismus. Die traumgleiche, leicht surreale Qualität der meist weitwinklig eingestellten Bilder weitet den Blick in einer Geschichte, die immer wieder die Klischees solcher Situationen unterläuft, auch die von Opfer und Täter. Tanjas Sohn hängt mit anderen Jugendlichen rum, mit denen er nachts in Geschäfte einbricht, um die Kasse zu plündern. Für ihn sind die beiden Männer, die seiner Mutter ein Einkommen im Cybersex-Geschäft in Aussicht stellen, nichts als verachtenswerte „Zuhälter“; dennoch kann er nicht anders, als einen heimlichen Blick in das Zimmer zu riskieren, in dem junge Frauen halbnackt vor der Kamera posieren.

Als er erfährt, dass seine Mutter auch in diesem Haus war, weigert er sich, ihre Gründe zu akzeptieren. An diesem Punkt brennen auch dem sanften Alfie die Sicherungen durch. In einem Wutanfall prügelt er den Pornoproduzenten beinahe zu Tode. Der hat sich zuvor als ehrlicher Geschäftsmann erwiesen und Tanja das Geld vorbeigebracht, das er ihr schuldete. Neben den Alternativen Glücksspiel oder Ladendiebstahl erscheint die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch das Zurschaustellen des eigenen Körpers zu verdienen, noch wie die ehrlichste Variante.

DIETMAR KAMMERER

„Last Resort“. Regie: Pawel Pawlikowski. Mit Dina Korzum, Artiom Strelnikov u. a., Großbritannien 2000, 75 Min. Läuft im fsk und in den Hackeschen Höfen