Darfur ist überall

Tschad und die Zentralafrikanische Republik sind die jüngsten Opfer des sudanesischen Flächenbrands geworden

von DOMINIC JOHNSON

Lastwagenkolonnen voller Rebellen, die kampflos wichtige Städte besetzen; elende Flüchtlingstrecks in der Savanne, die keinen sicheren Ort mehr finden; Tiefflüge von Frankreichs Luftwaffe, Militärverlagerungen quer über Staatsgrenzen: Was sich dieser Tage rund um Sudans Kriegsregion Darfur abspielt, ist ein überregionaler Konflikt geworden. Die an Völkermord grenzenden Aktivitäten von Sudans Armee und regierungstreuer Milizen in Darfur haben die Nachbarländer Tschad und Zentralafrikanische Republik ergriffen. Große Teile dieser riesigen, dünnbesiedelten Länder sind inzwischen Kriegsschauplatz.

Am Samstag nahmen Rebellen im Tschad den Ort Abéché ein, wichtigste Stadt im Osten des Tschad und Basis sowohl für das dort stationierte französische Militär als auch für die UN-Hilfsoperationen für die 218.000 Flüchtlinge aus Darfur im Tschad. Die Krankenhäuser Abéchés füllten sich mit Verletzten beider Seiten, die Lager der Hilfswerke wurden geplündert. Frankreichs Militär beschränkte sich auf Eigensicherung. Eine weitere Rebellenformation übernahm die Kontrolle über die Stadt Biltine weiter nördlich. „Die Tage des Verbrecherregimes sind gezählt“, prahlte ein Rebellensprecher.

Gestern früh zogen die Rebellen kampflos aus Abéché ab, unter Mitnahme erbeuteten Rüstungsmaterials. Am Mittag wurde eine neue Rebellenkolonne auf der Hauptstraße gesichtet, die quer durch Tschad in Richtung Hauptstadt führt. Bereits im April waren tschadische Rebellen in einer Blitzaktion aus dem Osten des Landes bis in die Hauptstadt Ndjamena vorgedrungen. Französisches Militär rettete damals Tschads Präsidenten Idriss Déby.

Zum ersten Mal hat Sudans Regierung zugegeben, die tschadischen Rebellen zu unterstützen. Mohamed El-Samani El-Wasila aus Sudans Außenministerium sagte Ende vergangener Woche: „Die innere politische Entwicklung im Tschad führte zur Unterstützung der dortigen Rebellen durch Sudan, weil es Kräfte in Tschads Regierung gibt, die die Rebellen in Darfur unterstützen. Und weil die Grenze zwischen Sudan und Tschad offen und unkontrollierbar ist und wir mindestens zwanzig Stämme haben, weiß niemand, wer die Grenze überquert.“

So ist die „Darfurisierung“ der Region, vor der das französische Hilfswerk „Action contre la faim“ vor zwei Wochen warnte, in vollem Gange. Als 2003 die Rebellion in Darfur gegen Sudans Zentralregierung begann, wusste jeder, dass Darfurs Rebellen sich zum Teil aus dem Tschad rekrutieren. Tschadische Oppositionelle suchten ihrerseits Hilfe in Sudans Hauptstadt Khartum.

Im Oktober vereinigten sich Tschads Rebellen zur Union der Kräfte für Entwicklung und Demokratie (UFDD). Zugleich tauchte in der Zentralafrikanischen Republik eine ebenfalls mutmaßlich vom Sudan unterstützte Union demokratischer Sammlungskräfte (UFDR) auf und eroberte den Nordosten dieses Landes. Der zentralafrikanische Präsident François Bozizé kam 2003 mit Tschads Hilfe an die Macht.

Die beiden Regierungen reden nun einmütig von gezielter Destabilisierung durch Sudan und fordern internationale Truppen. Frankreich, Schutzmacht der Präsidenten Déby und Bozizé mit ständigen Eingreiftruppen in beiden Ländern, unterstützt das auf UN-Ebene. Libyen schickt Tschads Regierung Waffen.

Für die Situation der Menschen ist es egal, welche Rolle Sudans Regierung dabei genau spielt. Es genügt, dass sich die Konfliktmuster ähneln: „Araber“ versuchen, mit dem Segen der Regierung „Nichtaraber“ zu vertreiben und damit Zugriff auf deren Land zu bekommen. So begann 2003 der mörderische Krieg in Darfur, der die Hälfte der Bevölkerung in die Flucht getrieben hat. Weil alle betroffenen Ethnien auch jenseits der Grenze leben, bringt das Auftauchen von Flüchtlingen und Rebellen im Tschad das Darfur-Konfliktmuster in dieses Land, wobei Tschads „Araber“ gegen die Regierung kämpfen. Dörfer werden angezündet, die Bewohner in den Busch getrieben.

90.000 Binnenflüchtlinge zählt das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR im Osten Tschads. Der Ort Goz Beida zum Beispiel hatte früher 8.000 Einwohner. Dazu kamen in den letzten Jahren 15.000 Flüchtlinge aus Darfur. Dann 11.000 vertriebene Tschader. Und in den letzten Wochen noch einmal 7.000 Vertriebene. Es handelt sich nach UN-Recherchen meist um Überlebende von Massenmorden durch „arabische“ Milizen, die von einem Dorf zum anderen zögen und systematisch alles zerstörten. Viele der Vertriebenen haben Schuss- oder Brandwunden.

Von einer „Politik der verbrannten Erde“, sprechen lokale UNHCR-Vertreter. Beobachter vor Ort weisen darauf hin, dass es dafür keine einfache Erklärung gibt. Konflikte wie Zugang zu Wasser und Weideland oder Brautpreis- und Erbstreitereien würden, weil es keinen funktionierenden Staat gibt, von bewaffneten Gruppen für ihre Zwecke instrumentalisiert, sagen tschadische Soziologen. So böten die von Sudans Regierung unterstützten Janjaweed-Milizen in Darfur ihren „arabischen“ Brüdern im Tschad Hilfe an. Im Gegenzug bilden sich „Selbstverteidigungsgruppen“ in tschadischen Dörfern, die Jagd auf „Araber“ im Allgemeinen machen.

Ähnlich brutal ist der Krieg auch in der Zentralafrikanischen Republik – und zwar nicht nur in der Nähe zu Sudans Grenze. Auch im Nordwesten sind seit Jahren Milizen aktiv. Sie und auch die zum Kampf gegen sie entsandten Regierungstruppen haben weite Landstriche entvölkert. Mehr als 170.000 Menschen sind laut UNO auf der Flucht, 46.000 sind in den Tschad gezogen. Weil in der Zentralafrikanischen Republik anders als im Tschad keine Infrastruktur internationaler Helfer vorhanden ist, irren viele Flüchtlinge durch den Busch und ernähren sich von Blättern.

Sowohl Tschad als auch Frankreich haben Truppen in die Zentralafrikanische Republik geschickt. Vor allem Frankreich befürchtet, dass sich die Konflikte im Fall eines Umsturzes in Richtung Kongo ausweiten: Zentralafrikas Rebellen kommen aus politischen Lagern, die dem heutigen kongolesischen Oppositionsführer Jean-Pierre Bemba nahestehen. Die UFDR behauptet zudem, in Ruanda gegründet worden zu sein.

Kurzfristig erwarten die Helfer keinen Frieden. In ihren Vorbereitungen für 2007 rechnen UN-Planer in Tschad und der Zentralafrikanischen Republik mit verstärkten Angriffen bewaffneter Gruppen, mehr Flüchtlingen und immer größeren für Helfer unzugänglichen Gebieten. Auch für Darfur ist keine Besserung in Sicht.