Kulturelle Kopfnüsse

Bei 3sat wollen gut erzogene Redakteure Kulturfernsehen für die „aktive Mitte“ machen. Mit Hilfe des feuilletonistischen Service-Magazins „Vivo“ hofft man auf mehr Unverwechselbarkeit

VON CHRISTIAN BARTELS

In der ersten Folge der Sendung „Vivo“ ging es am Ende ins Dunkelrestaurant. Wie merkt man beim Einschenken im Dunkeln, wann das Glas voll ist, fragte der aufgeweckte Reporter Gregor Steinbrenner die blinde Kellnerin. Entweder am Klang, antwortete sie, oder indem man den Finger ins Glas steckt. „Oh Gott“, rief da Steinbrenner. Die Menschen von 3sat sind kultiviert.

„Vivo“ hat im Oktober ziemlich unbemerkt die „Tipps und Trends“ abgelöst, die mit über einem Prozent Marktanteil zu den Erfolgsprogramm des Senders zählten. Ein anderer Beitrag zeigte Synästhetiker – Menschen, für die Geschmack Farben hat. Für Zuschauer, die nicht von vornherein ausschließen wollen, dass das Umfallen eines Reissacks in China Relevanz besitzt, durchaus interessant.

„Vivo“ passt ziemlich gut zu 3sat. Helle Farben, Seifenblasen, die Sonne sowie Annabelle Mandeng versprühen Lebensfreude. Ist eine Überleitung von der Wohnung fürs Wohnen zur „Wohnung des Geistes“, die auch aufgeräumt sein sollte, gefordert, kriegt die Moderatorin, die einst auf Vox durch „fit for fun TV“ führte, das unpeinlich hin. Gregor Steinbrenner wiederum füllt den Typus des erklärenden Reporters, für den die ARD unter dem Namen „Presenter-Reporter“ demnächst Kandidaten wie Thomas Leif in Testläufe schickt, bereits vorbildlich aus.

Leben Sie los!

„Feuilletonistisch ausgerichtetes Servicemagazin“ hieß es bei einer Präsentation, nicht mehr für die „Verbraucher-, sondern die Wissensgesellschaft“. Es hagelt schöne Worte in und um „Vivo“ wie bei 3sat. „Wir sind eigentlich ein Kultursender“, sagt Daniel Fiedler, der Leiter der Zentralredaktion. „Leben Sie los“ lautet das Sendungsmotto. „Kulturelle Kopfnüsse knacken!“ heißt das Mitmach-Gewinnspiel im 3sat-Programmheftchen, das „anders fernsehen“ heißt (so lautet das Sendermotto, nicht zu verwechseln mit „So habe ich das noch nie gesehen“, das ist Arte).

Fragt man nach der Zielgruppe, ist von der „aktiven Mitte“ die Rede. Das ist die Sprachregelung des ZDF für seine betagte Zielgruppe und zeigt: 3sat, das in 99 von 100 deutschen TV-Haushalten zu empfangen ist, fühlt sich als Kind des Mainzer Senders. Die Leute von 3sat sind aber auch stolz darauf, dass die institutionelle Konstruktion ihres Senders noch komplizierter ist als bei Arte, betrieben von den vielen ARD-Anstalten, dem ZDF und dem französischen Staatsfernsehen. Die Programmanteile kommen zu jeweils 32,5 Prozent von ZDF und ARD, zu einem Viertel vom ORF und zu 10 Prozent vom Schweizer Fernsehen DRS. Während die Zentralredaktion in Mainz sitzt, sitzen auch in allen ARD-Anstalten Mitarbeiter, die aus dem Programmfundus ihrer Anstalt Beiträge für 3sat aussuchen.

Gottfried Langenstein, der beim ZDF als „Direktor Europäische Satellitenprogramme“ auch 3sat-Chef ist und zudem ab 1. Januar 2007 die Arte-Präsidentschaft übernimmt, hält 3sat durchaus für einfacher strukturiert. Ob der Sender besser dran wäre, wenn allein das ZDF das Sagen hätte, ist eine andere Frage. Es gibt Beispiele gelungener Kooperation; der Kabarettist Urban Priol, der mindestens so lustig wie Harald Schmidt und sicher deutlich preiswerter ist, gelangte über 3sat ins ZDF. Andererseits neigt der große Sender schon jetzt dazu, alles, was ihm mutig oder irgendwie experimentell erscheint, an die Peripherie zu verlegen. Einstweilen bedeutet die Sender-Kohabitation für die 3sat-Arbeit sicher harte Reibungsarbeit.

Die Königsdisziplin

Was hat das Publikum davon? Zum Beispiel die renommierteste Sendung, die werktägliche „Kulturzeit“. Noch so ein Leuchtturm ist der „3sat-Zuschauerpreis“ zum Baden-Badener Fernsehfilm-Festival im November. Eine Woche lang werden gute deutschsprachige Fernsehfilme gesendet – von ZDF und ARD, aus Österreich und der Schweiz und von Privatsendern. Anhand der gern so genannten Königsdisziplin zeigt sich 3sat einmal im Jahr als deutschsprachiges Kulturfernsehen im Sinne des frankofonen TV 5.

Wenn das „einzige Gemeinschaftsprogramm des deutschen Sprachraums“ sonst häufig auch synchronisierte US-Filme zeigt, kann man sich manchmal freuen. George Lucas’ „THX 1138“ etwa ist sehenswert und selten. Wenn öfters mäßige ältere französische Alain-Delon-Krimis oder neuere skandinavische Wallander-Krimis laufen, muss sich niemand ärgern. Auch bei 3sat läuft, wofür bei den beteiligten Sendern Rechte vorrätig sind, die genutzt werden müssen. So spülen Rechteverwertung und Senderproporz Degeto-Filme à la „Ein Geschenk der Liebe“ ins Kulturprogramm.

Das ist das 3sat-Profilproblem: Es gibt ein paar Eigenproduktionen, Theater, man bemüht sich, wie demnächst wieder zur Duisburger Filmwoche, um Dokumentarfilme. Und es gibt ein Wiederholungsallerlei: 3sat konfektioniert – oft in netter Form –, was die Archive der Anstalten hergeben.

Weil mittelfristig die flächendeckende Einführung des Digital-TV und der Trend zum Abruffernsehen, bei dem ZDF und Arte bereits mitzumischen ankündigten, solchen Sendern schaden wird, bemüht sich 3sat verstärkt um ein Stückchen Unverwechselbarkeit. Es will eine „Farbe“ bekommen; dafür wurde die Marke „Vivo“ ersonnen, die im dichten Feld der Markennamen à la Viva und Vivendi nicht gerade unverwechselbar ist .Wünschen würde man den gut erzogenen Schöngeistern von 3sat jedenfalls, dass sie vielleicht im Rahmen einer Strukturreform im Gebührenfernsehen die Chance bekommen, mal ein richtiges Kulturprogramm aufzuziehen.