Mehr Aids, weniger Beratung

Die Zahl der HIV-Neuinfizierungen steigt wieder an. Gesundheitssenatorin Lompscher (PDS) fordert zum heutigen Weltaidstag mehr Engagement – und spart gleichzeitig bei den Beratungsstellen

VON SEBASTIAN KRETZ
UND ANTJE LANG-LENDORFF

Die Krankheit Aids breitet sich in Berlin wieder stärker aus. Trotzdem spart der Senat bei den Beratungsstellen für HIV-Infizierte. Pünktlich zum heutigen Weltaidstag hat die neue Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) zwar „mehr Engagement im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit“ gefordert.

Doch gleichzeitig reduziert ihre Verwaltung die Anlaufstellen für Präventionsarbeit. In Berlin sollen künftig die bisherigen sozialmedizinischen Dienste und Beratungsstellen für Aids in vier Zentren für sexuelle Gesundheit und Familienplanung zusammengeführt werden.

„Ganz still, heimlich und leise kürzt der Senat bei der HIV-Beratung, obwohl Frau Lompscher mehr Einsatz angemahnt hat“, sagte gestern Sibyll Klotz (Grüne), Stadträtin für Gesundheit und Soziales in Tempelhof-Schöneberg, der taz. Die Zahl der Beratungsstellen zu reduzieren, sei jedenfalls ein falsches Signal.

„Zentrale Einrichtungen können flexibler arbeiten“, begründete Roswitha Steinbrenner, die Sprecherin der Senatsverwaltung für Gesundheit, gestern die geplante Zusammenlegung. Eine kurze U-Bahn-Fahrt zum Beratungszentrum sei keine Zumutung. Zudem habe Berlin ein dichtes Ärztenetz. „Der Senat muss sparen“, rechtfertigte Steinbrenner das Vorhaben.

Fragt sich nur, ob an der richtigen Stelle: 2005 war die Zahl der Neu-Infizierten in der Stadt nach Angaben der Berliner Aids-Hilfe so hoch wie in den vergangenen 15 Jahren nicht. 450 Menschen hätten sich mit dem HI-Virus angesteckt, sagte Geschäftsführer Kai-Uwe Merkenich. 70 Prozent der neu Infizierten sind homosexuelle Männer. Steigende Infektionszahlen gibt es jedoch vor allem unter heterosexuellen Männern.

Information sind nötiger denn je, meint Merkenich. „Nach 20 Jahren Bedrohung durch das Virus lässt die Aufmerksamkeit nach. Aids wird verharmlost“, klagt er. „Immer weniger Jugendliche und Erwachsene benutzen Kondome“, bestätigte auch Marianne Rademacher, die als Aids-Ärztin im Gesundheitszentrum Schöneberg arbeitet.

Ein besonderer Dorn im Auge ist der Berliner Aids-Hilfe, dass ausgerechnet das Beratungszentrum in der Schwulenhochburg Schöneberg dichtmachen und nach Charlottenburg umziehen soll. Die Betroffenen müssten dann statt an den Innsbrucker Platz an den Richard-Wagner-Platz fahren. „Es wäre absurd, in einem Bezirk mit überdurchschnittlich vielen Homosexuellen und mehreren Straßenstrichen eine Beratungsstelle zu streichen“, sagte Merkenich. Gerade in Schöneberg sei es wichtig, niedrigschwellige Angebote aufrechtzuerhalten.

Auch Bezirksstadträtin Sibyll Klotz sagte: „Es gibt überhaupt keinen Grund, die Zentren zusammenzulegen. Deswegen will ich auch nicht darüber sprechen, ob eine U-Bahn-Fahrt nach Charlottenburg zumutbar ist.“ Ärztin Marianne Rademacher, die in der bedrohten Beratungsstelle arbeitet, glaubt: „Ein drogenabhängiger Prostituierter aus Schöneberg macht sich nicht auf den Weg nach Charlottenburg.“ Ihr Anlaufpunkt sei die einzige Stelle, die kontinuierlich HIV-Patienten betreue. Dieses Fachwissen ginge bei dem Umzug verloren.

Linksparteichef Klaus Lederer stützt unterdessen die Pläne der Gesundheitssenatorin – und verkauft die Zusammenlegung als „Neujustierung“. Rot-Rot II in Berlin habe die Herausforderung steigender Neuinfektionen angenommen, so der Parteivorsitzende weiter. Aidsprävention, verspricht er, bleibe auch in Zukunft „ein zentrales politisches Anliegen“.

inland SEITE 7, ausland SEITE 10