Länger offen lässt Ver.di hoffen

Weil Arbeitnehmer wenig Lust auf Nachtarbeit haben, hat Ver.di seit Oktober 1.000 neue Mitglieder dazugewonnen – so viele wie sonst in einem Jahr. Das gibt Auftrieb für die kommenden Tarifrunden

Von DOMINIK SCHOTTNER

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di kann dem neuen Ladenöffnungsgesetz endlich auch etwas Positives abgewinnen: Ihre Mitgliederzahl ist ungewöhnlich stark gestiegen, seitdem das Thema intensiv in der Öffentlichkeit diskutiert wird. „Seit Anfang Oktober konnten wir rund 900 neue Mitglieder im Fachbereich Handel des Bezirks Berlin begrüßen“, sagte der Leiter des Bereichs Handel, Günther Waschkuhn, der taz: „So viele treten sonst innerhalb eines Jahres bei.“ Hauptgrund für die vielen Neueintritte ist die Angst der Angestellten, dass ihnen wegen der längeren Öffnungszeiten künftig sozialfeindliche Arbeitsbedingungen und -zeiten diktiert werden.

Der Ver.di-Fachbereich Handel hat derzeit etwa 14.500 Mitglieder, ein bisschen mehr als 7 Prozent der insgesamt 200.000 Mitglieder des Landesbezirks Berlin-Brandenburg. In den vergangenen Jahren war die Mitgliederzahl fast aller Gewerkschaften in Deutschland eher gesunken als gestiegen. „Wir hier im Osten haben vor allem damit zu kämpfen, dass kaum noch neu eingestellt wird. Dazu kommt, dass die Betriebe immer weniger junge Menschen ausbilden, die uns beitreten könnten“, erklärte der Berliner Ver.di-Pressesprecher Andreas Splanemann den Rückgang. Umso erfreulicher sei der Anstieg in jüngster Zeit.

Die Arbeitgeber fürchten sich trotzdem kaum vor der rasant gewachsenen Ver.di-Mannschaft. Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Berliner Einzelhandelsverbandes, sagte: „Wenn man sonst nur Austritte hat, ist natürlich jeder Beitritt ein überproportionaler Zuwachs.“ Gleichwohl nehme er Ver.di „sehr ernst als Sozialpartner. Angst haben wir aber keine.“ Die Arbeitgeber hatten den Tarifvertrag fristgerecht zum 31. Dezember dieses Jahres gekündigt, sodass Anfang des kommenden Jahres ein neuer Tarifvertrag geschlossen werden muss. „Eine schwierige Tarifrunde“ werde das, sagte Busch-Petersen, der glaubt, dass der Handel durch das neue Ladenöffnungsgesetz anderen Wirtschaftszweigen in Deutschland gleichgestellt wurde: „Die spezielle Behandlung der nächtlichen Arbeit fällt dadurch weg.“ Dennoch werde Mehrarbeit immer anders behandelt werden.

Ver.di wird bei der kommenden Tarifrunde dafür kämpfen, dass Sonderzahlungen wie der Nachtzuschlag nicht Opfer der Verhandlungen werden. „Viele unserer Mitglieder würden auch zu späterer Stunde arbeiten – aber nur, wenn die Zuschläge bleiben“, sagte Ver.di-Sprecher Splanemann.

Solange die Tarifparteien sich nicht einigen, gilt aber ohnehin noch der alte Tarifvertrag. „Deswegen haben wir gerade so viele Beitritte. Für alle, die vor dem 31. 12. beitreten, gilt noch der derzeitige Vertrag“, erklärte Ver.di-Mann Waschkuhn.

Auf einer Konferenz am kommenden Montag wird Ver.di rund 250 Berliner Betriebsräte über die Möglichkeiten der Mitbestimmung im Rahmen der neuen Regeln informieren.

Ob auch Vertreter des Kulturkaufhauses Dussmann teilnehmen werden, ist noch offen. Wie die taz erfuhr, soll der Rauswurf der langjährigen Hauptgeschäftsführerin, Martina Tittel, mit den Plänen, eines Betriebsrat im Kulturkaufhaus am Bahnhof Friedrichstraße zu gründen, zusammenhängen.

Unternehmenssprecher Steffen Ritter widersprach gegenüber der taz dieser Darstellung: „Es gab einen Dissens über die Geschäftsstrategie.“ Ritter verwies zudem darauf, dass bereits seit Frühjahr dieses Jahres ein Betriebsrat geplant sei. Ritter: „Einen Betriebsrat zu gründen ist völlig legitim.“