Ich ist kein anderer

Der Berliner Krawallrapper Sido hat ein neues Album veröffentlicht: „Ich“. Mit dem Konzept „Straßenjunge“ legt er den guten alten Bürgerschreck noch einmal neu auf

Was für ein schöner Titel für ein Hiphop-Album, viel mehr Rapper sollten ihre Platten so nennen: „Ich“ heißt Sidos neues Album. Was abgesehen davon, dass Rapper generell am liebsten über sich selbst erzählen, auch auf zahllosen anderen Ebenen bezaubernden Sinn macht. „Die Maske“ hieß sein Debüt, mit dem er als Bürgerschreck aus dem Märkischen Viertel berühmt wurde. Nun sieht man auf dem Cover, wie er die Maske abnimmt und sein Gesicht zeigt. Aber auch sonst ist dieser Titel großartig. In wunderbarer Deutlichkeit stellt er die Platte neben zwei andere wichtige Autobiografien der vergangenen Jahre und gibt damit die Pole an, zwischen denen Sido seine Karriere pendeln lässt: Helmut Berger („Ich“) und Joachim Fest („Ich nicht“). Kaputter Unterhaltungsindustrie-Glamour mit Drogenproblemen (Berger) und berlin-preußischer Nonkonformismus (Fest) – selten haben sich diese scheinbar gegenläufigen Tendenzen so harmonisch ineinander gefügt wie auf Sidos neuem Album.

Zwei Jahre ist es her, dass Sido den Berliner Krawallrap in die Charts trug und der Erste in einer ganzen Reihe von Rappern wurde, die seitdem als Repräsentanten der „Unterschicht“ durch das Musikfernsehen und die Berichte der Indizierungsbehörden turnen. Der notorische „Arschficksong“ war es, der immer wieder bemüht wurde, um Sidos Gefährlichkeit zu betonen. Seine erstaunliche Putzigkeit machte ihn aber auch rasch zum begehrten Stargast bei Stefan Raab – die Bravo hatte zur Berichterstattung über das Label Aggro Berlin und seine Künstler zeitweilig einen eigenen Reporter abgestellt.

Wie er diese beiden Pole unter einen Hut bekommen würde, war die große Frage, die Deutschland vor der Veröffentlichung von „Ich“ bewegte (die Spekulationen über „Ich“ liefen dermaßen heiß, dass vor gut zwei Wochen Einbrecher in das festungsartig gesichterte Büro von Aggro Berlin eindrangen, indem sie eine Wand durchbrachen – geklaut wurde nichts außer Aufzeichungen von Sido). Nun hat Sido sie beantwortet: Er nennt das Konzept „Straßenjunge“. Was gleichzeitig der Titel der ersten Single-Auskoppelung ist.

Und was (wenn schon keine neue) eine doch gute Idee ist. Straßenjunge heißt eben kein Gangster zu sein („Wenn ich ein Gangster wäre, wärt ihr schon alle tot“), trotzdem eine Menge Mist gebaut zu haben, was man auch einsehen kann (etwa einen Sohn in die Welt gesetzt und sich nie um ihn gekümmert zu haben, wie in „Ein Teil von mir“). So konstruiert man Glaubwürdigkeit.

Eines kommt auf „Ich“ leider ein wenig zu kurz: Sidos Berliner Eckensteher-Humor, das was man früher „Berliner Schnauze“ nannte. Die grotesken Geschichten, die wilden Übertreibungen, all die Dinge, die sein Debütalbum zu einer so außergewöhnlichen Platte gemacht hatten, hat Sido für „Ich“ zurückgefahren. Das Viertel etwa, das in „Mein Block“ gleichzeitig real und gnadenlos übertrieben war, ist in „Straßenjunge“ nur noch Wirklichkeit. Das mag notweniges Übel sein, wenn man sich Sittenwächtern wie Monika Griefahn erwehren muss. Es ermüdet aber ein wenig. TOBIAS RAPP

Sido: „Ich“ (Aggro Berlin)